Die Programme der Parteien zur Landtagswahl 2019 in Sachsen aus LGBTIQ*-Sicht
Seit Jahren schreibe ich zu Wahlprogrammen auf europäischer Ebene, zu Bundestagswahlen und – aufgrund meines langjährigen Wohnsitzes – zu den niedersächsischen Wahlen. Da in diesem Jahr mehrere Landtagswahlen mit möglicherweise auch überregionaler Bedeutung stattfinden, möchte ich mich auch diesen Wahlen zuwenden. Hier fokussiere ich auf die Landtagswahl in Sachsen – logisch, da ich selbst gebürtig aus Sachsen komme und die Entwicklungen besonders verfolge. Die sächsische Landtagswahl findet am 1. September 2019 statt. Bei Umfragewerten, die die CDU und die AfD nahezu gleichauf sehen, einem entsprechend AfD-dominierten Wahlkampf, einer sich rechts positionierenden CDU und immer schrilleren Forderungen, findet bislang ein Blick auf die „leisen Töne“, nämlich die inhaltlichen Punkte, kaum statt. Das sind Gründe, sich von den arithmetischen Verhältnissen und dem lauten Poltern nicht gänzlich von den inhaltlichen Themen ablenken zu lassen. Aus lesbischer, schwuler, bisexueller, trans*, inter*, queerer Perspektive gucke ich mir daher mal die Inhalte in den Wahlprogrammen an:
CDU
Fangen wir bei der Regierungspartei CDU an, die auch den Ministerpräsidenten stellt an. Das geht (auch im Vergleich zu anderen Landes-CDUen) extrem schnell. Es findet sich im Programm eine Seite zu Familie, die aber mehr oder weniger offen ausschließlich auf heterosexuelle Vater-Mutter-Kind-Familien abzielt und sich vor allem für „den Schutz ungeborenen Lebens“ und Hilfe bei Schwangerschaften in „Konfliktlagen“ ausspricht. Gemeint ist damit der implizite Kampf gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Zu den Rechten und Forderungen queerer Menschen findet sich im Programm keine Silbe.
Die Linke
Zweitgrößte Partei bei der letzten Landtagswahl war die Linke. Bei diesem Programm fällt auf, das sich der Kampf gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus wie ein roter Faden durch das Programm zieht. Dies auch im Bezug auf die Rechte von LGBTIQ*:
„Wir wollen gemeinsam und grenzüberschreitend den Kampf gegen Rechtspopulismus, Nationalismus und menschenfeindliche Ideologien führen und gegen Antiziganismus vorgehen. Geschlechtergerechtigkeit und die Gleichstellung von LGBTTIQA* wollen wir gegen jeden Versuch der Zurücknahme des Erreichten verteidigen.“
Das fällt auch auf: Konsequent verwendet die Linke das Kürzel LGBTTIQA* und
verwendet geschlechtergerechte Sprache. Getrieben wird das Programm hier vom
Selbstverständnis, dass die Gesellschaft Platz bietet für die
unterschiedlichen Lebensentwürfe und Liebesweisen. Wie Menschen ihr Leben
gestalten, ob in der anders- oder gleichgeschlechtlichen Paar- und
Elternbeziehung oder in Patchworkfamilien, sei die individuelle Entscheidung
der Einzelnen. Dies, so Die Linke, sei
ein Aspekt sozialer Gleichheit. In diese Richtung zielt auch, wenn ihre
Forderungen für kinder- und familienfreundliche Umgebungen, genau diese
Vielfalt an Lebensweisen explizit einschließt. Folgerichtig will die Linke
auch: „Die Bedeutung des Geschlechts als gesellschaftlich hierarchisierende
Kategorie […] zurückdrängen.“ Damit wendet sie sich gegen stereotype
Rollenbilder und Geschlechternormen und setzt als Ziel:
„Wir wollen die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter und aller Lebens- und Liebesweisen.
Unser Ziel ist ein selbstbestimmtes Leben frei von Gewalt für alle in Sachsen lebenden Menschen. Dazu gehört das Recht auf sexuelle und körperliche Selbstbestimmung, der Kampf gegen Gewalt an Frauen* und LGBTTIQA*, sowie Akzeptanz und Vielfalt. Die individuelle Berufswahl, Lebensplanung genauso wie Familienplanung oder Beziehungsform muss unabhängig vom zugeschriebenen Geschlecht oder von Geschlechtsidentität gestaltet werden können.“
Leider bleibt sie im Folgenden ein wenig unkonkret. Was dieses Selbstverständnis insbesondere für LGBTIQ* für Folgen hat. Schulaufklärungsprojekte, Beratungsmöglichkeiten, frühkindliche Bildung wären hier Schlagworte, für die konkrete Forderungen hätten aufgestellt werden können.
Auf Bundesebene will Die Linke Artikel 3 des Grundgesetzes um das Diskriminierungsmerkmal „sexuelle Orientierung“ erweitern und ein Verbot von Konversionstherapien erwirken.
SPD
Die SPD lässt leider in ihrem sehr ausführlichen, aber unstrukturierten „Regierungsprogramm“ viele Fragen offen. Belange von LGBTIQ* sehen sie nur im Senior*innenbereich für notwendig an:
„Im Rahmen eines Modellprojekts wollen wir nach dem Beispiel Nordrhein-Westfalens eine Fachberatung für gleichgeschlechtliche Lebensweisen in der offenen Senior*innenarbeit in Sachsen einrichten, um die Sichtbarkeit der älteren Lesben- und Schwulengeneration zu stärken und für das Thema gleichgeschlechtliche Lebensweisen zu sensibilisieren“
Außerdem sprechen sie sich – so wie die Linke auch – gegen Konversionstherapien aus. Weiterführende Fragen, zum Beispiel wie sich die SPD ein Zusammenleben vorstellt und was für sie Familie ausmacht, bleiben bei der SPD unbeantwortet. Allerdings zeigen sich die Sozialdemokrat*innen auf einem anderen Gebiet (ähnlich wie die Linke) sehr souverän. Explizit fordern sie geschlechtergerechte Sprache ein, schreiben von einem notwendigen Sichtbarmachen und wenden es in ihrem Programm auch konsequent an.
Bündnis 90 / Die Grünen
Das Wahlprogramm von B90/Die Grünen weicht in Form und Herangehensweise von den anderen Parteien ab. In einem ersten Teil, der fast die ganze erste Hälfte des Programmes einnimmt, beschäftigen sich die Grünen mit ökologisch-ökonomischen Themen, um dann im zweiten Teil „die Menschen in Sachsen“ zu thematisieren und im dritten Teil die Rolle des Staates zu definieren. In der Präambel zum zweiten Teil definieren sie ihr Bild von Vielfalt:
„Für uns steht der Mensch in seiner Würde und Freiheit im Mittelpunkt. Unabhängig von Geschlecht, Alter, Aussehen, Herkunft, sexueller Orientierung, ob mit oder ohne Behinderung, egal wo jemand herkommt oder hinwill – alle gehören dazu, verdienen Respekt und Unterstützung. Vielfalt ist für uns keine Bedrohung, sondern Bereicherung. Wir wollen bestehende Diskriminierungen beseitigen und allumfassende Teilhabe ermöglichen.“
Entsprechend wird auch das Familienbild geprägt:
„Familie ist, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Unsere Wertschätzung und Unterstützung gilt allen partnerschaftlichen Beziehungen, ganz gleich ob Vater-Mutter-Kind, Alleinerziehende, Patchwork- oder Regenbogenfamilien.“
Unter der etwas irritierenden Überschrift: „Jedes Geschlecht verdient Anerkennung und Sicherheit“ werden B90/Dier Grünen konkret:
„Wir wollen, dass Menschen jeden Geschlechts und jeder sexuellen Orientierung in Sachsen diskriminierungsfrei leben können. Wir setzen uns für die verbindliche Umsetzung und die Fortschreibung des Aktionsplans Vielfalt zum Abbau von Diskriminierung in allen Bereichen durch die sächsische Verwaltung ein und wollen die dafür notwendigen Mittel bereitstellen. Anlaufstellen, die Beratung und Unterstützung für queere Jugendliche anbieten, wollen wir fördern und ausbauen. Das Bewusstsein für die Vielfalt von Geschlechtern und sexuellen Orientierungen beginnt früh. Geschlechtergerechtes Lernen an Kitas und Schulen muss selbstverständlich werden. Wir wollen die Lehrpläne an aktuelle Entwicklungen anpassen und flächendeckend Schulaufklärungsprojekte zu sexueller Vielfalt fördern.“
AfD
Zurück zum Mief der 1950er und davor, klassischer Rollenbildvermittlung im Unterricht einschließlich Haushaltsführung(!), nicht konforme Lebensentwürfe sollen toleriert, aber nie akzeptiert werden, Verbot von „Frühsexualisierung“, Abschaffung von Gleichstellungsbeauftragten, Ablehnung von „Gender-Ideologie“ als unwissenschaftlich und entgegen den Erkenntnissen der „Lebenserfahrung“. Die AfD spielt das bekannte Repertoire Ewiggestriger. Mehr muss über die Rechtsextremist*innen nicht gesagt werden.
FDP
Nicht im derzeitigen Landtag vertreten ist die FDP. Ihr werden aber gute Chancen ausgerechnet, mit einzuziehen, so dass auch sie hier thematisiert werden sollen Ihr deutlich marktradikales Programm, in dem explizit geschlechtergerechte Sprache abgelehnt wird, bleibt bei allgemeinen Floskeln zur Förderung von Akzeptanz und empfiehlt Selbsthilfe:
„Für uns ist eine Politik selbstverständlich, die sich gegen jegliche Diskriminierung von Menschen richtet. So muss auch allen Homosexuellen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen sowie Transgender, (LSBTI*) die volle und benachteiligungsfreie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden. Wir stehen für Vielfalt und Wertschätzung in der Gesellschaft. Insbesondere durch konkrete Maßnahmen in der Bildung, der Förderung von Selbsthilfe und Diversity Management, aber auch durch die Sensibilisierung staatlicher Entscheidungsträger, wollen wir Respekt und Akzeptanz stärken.“
Abschluss:
Klar scheint, in einem Wahlkampf, der sich insbesondere auf die Auseinandersetzung mit der AfD beschränkt (die damit die Agenda setzt), wird kein Platz für die Einforderung von Rechten für LGBTIQ* sein. Entsprechend ist ihr Stellenwert bei CDU, SPD und FDP gering, die CDU scheint darüber hinaus in Bezug auf LGBTIQ* erschreckend nah an einem Menschenbild der AfD dran zu sein. Einzig B90/Die Grünen und die Linke treten mit geschlossen Konzepten, die die Anerkennung der Lebensrealität von Patchworkfamilien und anderen alternativen Lebensentwürfen beinhalten, hervor. Kommt es zu den zu erwartenden Koalitionen, drohen weitere 5 Jahre Stillstand. Stillstand, die sich eine zutiefst geteilte und von Hass zerfressene Gesellschaft, wie die sächsische, nicht leisten kann.
[…] als erstes die CDU. Haben sich ihre sächsischen Kolleg*innen noch ausschließlich auf die heterosexuelle Kleinfamilie spezialisiert, definiert die brandenburgische Oppositionspartei Familie und damit verbundene Familienpolitik […]