Oder: ein Lehrbeispiel, wie Bürger_innenbeteiligung nicht funktioniert.
Am gestrigen Montag, dem 19.11.2018, hat der Bezirksrat Hannover Mitte einen Antrag von Bündnis 90 / Die Grünen zur Umbenennung des Emmich-Platzes in Hannover in Alma Rosé Platz mit 9 zu 9 Stimmen, bei einerEnthaltung, abgelehnt. Gegen die Umbenennung haben der bürgerliche Block (FDP/CDU/PIRATEN) sowie die Ratsfrau Gunda Pollok-Jabbai, die zunächst auf Ticket der Linken in den Bezirksrat gekommen, kurz nach der Wahl aber aus der Linken ausgetreten war, gestimmt.. Der Abgeordnete der Linken Axel Hogh hat sich der Stimme enthalten,während SPD und Grüne dem Namensvorschlag Alma Rosé zustimmten. Hätten entweder Pollok-Jabbai oder Hogh anders abgestimmt, wäre eine Mehrheit für die Namensgebung nach der jüdischen Antifaschistin zustande gekommen. Stattdessen wurde beschlossen, den Emmich-Platz in Hannover in Neues Haus umzubenennen. (Update zur Klarstellung: Nach Ablehnung des Antrages B90/Grüne mit den Stimmen aller, bei Gegenstimme B90/Grüne)
Von Aktiven aus der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, unterstützt vomStadtjugendring, dem Netzwerk Erinnern und Zukunft sowie Prominenten der Musikwelt war für die Benennung Alma Rosé vorgeschlagen worden (ausführlich hier).Alma Rosé leitete das Mädchenorchester Auschwitz, überlebte selbst das Konzentrationslager nicht, konnte aber mindestens 40 Leben retten. Welcher Name wäre besser als Adresse für die am Platz ansässige international renommierte Musikhochschule geeignet? Bündnis 90/Die Grünen und SPD griffen den Vorschlag auf, die anderen favorisierten den Vorschlag der Verwaltung, der auf eine sogenannte Anwohnerbefragung zurückging.
Dazu muss man wissen: Am Emmich-Platz gibt es keine Wohnungen. Lediglich Arztpraxen, Rechtsanwälte und die Musikhochschule haben ihren Sitz. Von den 21 Angefragten antworteten 11, wovon sich 5 für Neues Haus und einer für Alma Rosé aussprachen. Ergänzend ist hinzuzufügen, dass der Name Alma Rosé bisher in Hannover relativ unbekannt ist.
Mit Briefen an die Stadtbezirksräte (über den DienstwegStadt Hannover) wollten DFG-VK und Netzwerk Erinnern und Zukunft für ihr Anliegen werben. Diese Briefe erreichten die Bezirksräte nicht. Die Bezirksbürgermeisterin Cornelia Kupsch (CDU) begründete dies damit, dass die rechtlichen Regelungen nur eine Anwohnerbefragung vorsehen würden. Daher dürfe(!) sie diese Informationen nicht an die Stadtbezirksräte weiterleiten.Konkret schrieb sie: „Für die Namensgebung des Emmichplatzes sind nur die Anwohner und Anwohnerinnen sowie die Anlieger und hier im speziellen die Mitglieder der Musikhochschule zurAbstimmung aufgefordert gewesen. Dafür gibt es eine verbindliche Drucksache und rechtliche Vorgaben. Die Namenswünsche der AnwohnerInnen des Emmichplatzes wurden durch die Verwaltung (wie beschlossen) eingeholt und lagen den Mitgliedern des Bezirksrates vor. Grundlage der Entscheidung war eine Liste von Namen, welche auch den von Ihnen bevorzugten Namen enthielt. Wenn Sie die Pressemitteilung der DFG-VK, das Schreiben von Herrn Heuke, das Schreiben des Friedensrates im HkD der evangelischen Landeskirche und das Schreiben des“Netzwerkes Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover“ bei der Entscheidungsfindung nicht ausreichend berücksichtigt finden, so liegt das daran,dass es sich hier weder um AnwohnerIn noch Anlieger des Emmichplatzes handelt.“Hier wird Bürger_innenbeteiligung formalisiert, um sie nicht wirksam werden zulassen. Was ist eine Stadt wie Hannover, ohne ihre Zivilgesellschaft? Warum darf über einen solch zentralen Platz nicht die Zivilgesellschaft mitreden?
Soweit so schlecht. Immerhin gibt es ja private Mailadressen, so dass trotz der Haltung von Fr. Kupsch die Bezirksräte informiert werden konnten.
Was nicht stattfand – und das bis heute nicht – ist eine städtische Debatte über die Bedeutung des Platzes für Hannover und darüber hinaus. Über den Namen Alma Rosé gab es keinerlei inhaltliche Auseinandersetzung.
Axel Hogh, immerhin Mitglied einer Partei, die sich dem gesellschaftlichen Rechtsruck entgegenstellen will und die Antifaschismus zumindest in ihrem Selbstverständnis hat, stören diese Demokratiedefizite nicht.
Er klammert sich an die sogenannte Bürger_innenbefragung und stimmte daher nicht für Alma Rosé. Fünf Meinungen von Rechtsanwaltskanzleien und Arztpraxen sind für diesen Abgeordneten der Linken wichtiger als die gesellschaftliche Sicht auf die Stadt. Das ist erbärmlich. Mit seiner Entscheidung kippte er die Mehrheit und verhinderte die respektable Benennungeines zentralen Platzes in der Landeshauptstadt Hannover. Das ist skandalös und ganz sicher nicht im Interesse seiner Wähler_innen. Bleibt zu hoffen, dass die Linkspartei daraus Konsequenzen zieht, will sie als antifaschistische Partei weiterhin anerkannt werden. So jedenfalls nicht. Hier von einem schweren Flurschaden zu sprechen, dürfte noch harmlos sein.
Die Stadt sollte sich – gerade im Umfeld der laufendenUmbenennungen (erinnert sei hier an die Debatte zur Hindenburgstraße) –dringend Gedanken machen, wie sie Bürger_innenbeteiligung ernst meint und die Stadtgesellschaft einbezieht, anstatt nur Wenigen die Beteiligung an der Benennung von Plätzen und Straßen der Stadt zu überlassen. Die Namen von Straßen und Plätzen prägen auch die Stadtkultur und die Wahrnehmung Hannovers bundesweit und international –damit ist das Thema zu wichtig und kann man es nicht Partikularinteressen überlassen.
Thorsten W. A. Kuhn meint
Na wen wundert das Gunda Pollok-Jabbai dagegen gestimmt hat, genau wegen sowas wurde sie von DIE LINKE nicht wieder als Kandidatin für den Rat der Stadt Hannover aufgestellt. Wofür sie sich mit dem Vandalismus an hunderten von Wahlplakaten der Linken bedankte, mit Aufklebern drei Stimmen für Gunda Pollok-Jabbai (http://www.potemkin-zeitschrift.de/2016/09/13/kommunalwahl-niedersachsen-linke-teilerfolge-und-ernuechterung/) und dann mit Sebastian Saß und Sebastian Bertram aus DIE LINKE ausgetreten ist.
Stefanie meint
Ich unterstütze die Benennung des Platzes nach der genialen Musikerin, die Opfer der Shoah wurde, vollkommen. Unverständlich ist für mich aber, warum man sich hier nicht die Mühe macht, die komplexe, teils widersprüchliche und teils bis heute nicht genau geklärte Geschichte von Alma Rosé auch halbwegs in dieser Komplexität zu erzählen. Das (unpassende) Label „jüdische Antifaschistin“ ersetzt anscheinend jedes echte Interesse und die Auseinander mit dem tatsächlichen Menschen.
Reinhold Weismann-Kieser meint
Von denen, die sich „bürgerlich“nenennen“ und damit nur erneut ihre Geschichtslosigkeit zeigen, ist nichts anderes zu erwarten. An sonsten: Bodo Rammelow läßt grüßem …
Agnes Hasenjäger meint
So bitter es für uns ist, es war nicht „Die LINKE“, sondern ein Linker.
Die KMV der LINKEN. Region Hannover hatte am 20.10.2018 beschlossen:
Die LINKE. Region Hannover unterstützt die Umbenennung des Emmichplatzes nach der jüdischen Künstlerin Alma Rosè, die in Auschwitz als Leiterin des Mädchenorchesters starb.
Wir hielten dies eigentlich für selbstverständlich, aber es gibt offensichtlich Mitglieder (und frühere Kandidatinnen), für die das nicht so ist.
Dietmar Lange meint
Als Linker bin ich beschämt. Ich bitte um Verzeihung. Weiterhin hoffe ich, das dies nicht folgenlos innerhalb unserer Partei bleibt.
Anti-Faschismus hat in der Linken ein zuhause. Er wird nicht gestärkt, indem diese Partei geschwächt wird. Allerdings muss dringend aufgeräumt werden.
Vom Zuschauen allein wird nichts besser. Selbst reingehn. Mitmachen.
Frank Puin meint
Zitat: „Gegen die Umbenennung haben der bürgerliche Block (FDP/CDU/PIRATEN) ….“
Das habe ich doch richtig verstanden: Die Linke Ratsfraktion ist seit 2 Jahren ein politisch-strategisches Bündnis mit einem Teil des bürgerlichen Blocks eingegangen? (vgl. Rat der Landeshauptstadt Hannover Gruppe LINKE & PIRATEN) Wer hat das eigentlich wann beschlossen und gibt es ein öffentliches „Gruppenbildungs-Papier“?
Und: Sie kann sich vor Ort nicht in bedeutenden Entscheidungen beim Gruppenpartner Piraten durchsetzen? Deren Vertreter im Bezirksrat, Dr. Junghändel, ist ja nicht irgendwer, sondern Pirat der ersten Stunde. Er hat sicherlich die „queere“ Gruppenbildung in der Region mit der SpaßPARTEI mit eingefädelt.
Wie wäre es, wenn zunächst die Kooperation mit dem „bürgerlichen Block“ in Frage gestellt würde? Denn in den mir zugänglichen Ausschüssen wird recht häufig von Linken Mandatsträgern mit der oppositionellen CDU gestimmt- meist mangels eigener sinnvoller Anträge. Schließlich stimmt der Ratsherr Kuhn in Ronnenberg ständig mit der SPD ab. Sieht so eigenständige Oppositionsarbeit aus?