Die FDP, erklärte Gegnerin einer Umbenennung der Hindenburgstraße im Zooviertel in Hannover, hat zur Podiumsdiskussion in die Friedenskirche geladen. Alle Parteien aus dem Bezirksrat Mitte kamen, außerdem war Karljosef Kreter von der städtischen Erinnerungskultur als Experte und Vertreter der Empfehlung der von der Stadt eingesetzten Expert_innenkommision eingeladen. Zuvor hatte der Bezirksbeirat die Einleitung eines Umbenennungsverfahrens mit dem Ziel der Umbenennung der Hindenburgstraße mit Mehrheit von rot/grün unter Unterstützung der Linken beschlossen. Bereits 2015 hatte ein von der Stadt eingesetzter Beirat die Umbenennung empfohlen.
Der Einladung der FDP folgten ca. 200 Menschen, überwiegend aus dem Zooviertel, etwa 30 aus der Hindenburgstraße.
Bereits die Gespräche im Vorfeld ließen Schlimmes erahnen. So raunte der Mann knapp neben mir, man müsste doch für die Schlacht bei Tannenberg dankbar sein, sonst wäre Deutschland noch kleiner… Und ich wurde nicht enttäuscht.
Der Vertreter der Kirche eröffnete die Debatte mit einer Anekdote: Hindenburg selbst habe zur Eröffnung der nahegelegenen Kirche gratuliert und ihr eine Altarbibel geschenkt, auf der er die Hoffnung aussprach „…möge der vaterländische Geist die Kirche beseelen.“
Damit war der Reigen eröffnet. Kreter machte gleich Anfangs deutlich, worin der Beirat seine Arbeit gesehen hat: Die Geschichte der Jahre 1933/34 zu beleuchten, von der Machtübergabe an Hitler bis zum Tod Hindenburgs. Bereits Hindenburgs Historie im 1. Weltkrieg sollte für eine Aberkennung der Ehre als Straßenname ausreichen – diese Geschichte wurde aber nicht angeschnitten. Paul von Hindenburg war monarchistisch, antidemokratisch, antiparlamentarisch und antisemitisch, so Kreter. Der ehemalige Reichspräsident ermöglichte die Errichtung der NS-Diktatur durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, unterzeichnete unter anderem das Ermächtigungsgesetz und unterstützte es. In seinem politischen Testament fand Hindenburg lobende Worte zu Hitler und freute sich über seine Ernennung. In vielen Debatten wird der alternde Hindenburg als nicht mehr zurechnungsfähig beschrieben. Dem widersprach Kreter fundiert – mit Verweis auf neue Forschungen, die dies eindeutig widerlegen. Alles klar also, oder?
Nach einer einstündigen Nachfragerunde, auf die ich noch zurückkomme, kamen die Parteienvertreter_innen zu Wort.
Michael Sandow von der SPD, der den vom Bezirksbeirat beschlossenenen Antrag eingebracht hatte, verblüffte mit der Aussicht, das noch gar nichts entschieden sei, erst das Ergebnis der Bürgerbeteiligung werde das weitere Vorgehen klären. Dem widersprachen die Vertreter_innen von CDU und FDP und warfen Sandow Heuchelei vor. Der Beschluss, der gegen sie gefasst worden sei, sei eindeutig. Die CDU warb für eine starke Bürgerbeteiligung, wohlwissend, dass das Verlangen nach dem Aufwand, den eine Umbenennung mit sich bringt, sehr überschaubar ist. Entsprechend waren auch die Reaktionen. Christoph Baathe von Bündnis 90/ Die Grünen bezog, neben dem Vertreter der Linkspartei, Axel Hogh, klar Stellung für eine Umbenennung. Er kündigte auch an, auf jeden Fall für die Umbenennung zu stimmen, was zahlreiche Ausfälle und BUH-Rufe zur Folge hatte. Dr. Junghänel von den Piraten verglich die Debatte um die Hindenburgstraße mit Ernst-August: Obwohl anerkanntermaßen Antidemokrat, wird er doch als Hannoversche Marke nicht in Frage gestellt. Seine Schandtaten seien verdrängt, vielmehr stünde er, so wie andere Ortsbezeichnungen, für ein Heimatgefühl. Das sehe er so auch für Hindenburg.
Die Debatte selber war, wie zu erwarten von der Angst vor Veränderung geprägt. Einzelne Beiträge sorgten immer wieder für einen Schlag nach ganz rechts.
So verwies ein Diskussionsteilnehmer auf das „komische Stauffenbergattentat“ und behauptete – unwidersprochen! – Polen hätte 1933 dreimal erwogen, Deutschland anzugreifen. Ständig wurden historische Fakten durch „Bürger_innenwissen“ in Frage gestellt und die Bedeutung Hindenburgs relativiert. Besonders dessen Geisteszustand war häufig Gegenstand der Erörterung, so als ob ein labiler Geisteszustand Hindenburgs eher rechtfertige, dass Straßen seinen Namen tragen dürften. Dann wurde wiederum von anderen „Bürger_innen“ behauptet, es gäbe keine neuen Erkenntnisse – obwohl diese vorher ausführlich belegt worden waren. Das Publikum, in seiner riesengroßen Mehrheit Gegner_in einer Umbenennung, applaudierte fast trotzig all denen, die sich gegen eine Namensneuvergabe aussprachen – ganz egal wie fundiert die Argumente waren.
So verglich eine „Bürgerin“ den Grünen Baathe mit Hitler („hier fehlt nur noch der Bart“, und machte eine eindeutige Geste zum Hitlerbärtchen mit der Hand). Das tat sie unter tosendem Applaus. Es widersprach nicht die Moderation, das musste der Angegriffene selber tun.
Dann war viel von Ideologie die Rede, von Diktatur (wonach der Grüne erst einmal das Wesen einer parlamentarischen Demokratie erklären musste). Es zeigten sich also genau die üblichen Wendungen der sogenannten „Wutbürger“. Nachdenkliche Beiträge waren hingegen die Ausnahme, wie der einer Frau, die – vom Moderator ständig unterbrochen – von Folter und Mord an ihrem Großvater berichtete – auf Basis des von Hindenburg unterzeichneten Ermächtigungsgesetzes. Sie sprach davon, wie unerträglich dieser Name als Straßenname sei. Ihre Stimme verklang nahezu ungehört.
Auch die CDU, namentlich ihr Vertreter Herr Albrecht, trötete noch einmal das populistische Horn. Hindenburg müsste offener diskutiert werden, sicher gäbe es auch andere Meinungen zu ihm. Massiv wurde von Albrecht auf das Thema der Manipulierbarkeit hingewiesen und Hindenburg als potentielles Opfer Hitlers stilisiert. Auch wurde unterstellt, Hindenburg habe keine Handhabe gehabt, das Ermächtigungsgesetz nicht zu unterzeichnen…
Mit der Zeit wiederholten sich die Argumente. Fast schien es, als hätte es keine inhaltliche Einführung gegeben. Zum Schluss drehte sich alles um die Bürgerbeteiligung. Meine Frage, warum, wenn Bürgerbeteiligung wichtig sei, diese dann nicht stadtweit geschehe, sondern bewusst nur auf die Anlieger, maximal das Zooviertel, beschränkt sein solle, wo doch der Name stadtweite Bedeutung habe, wurde schmallippig mit Hinweis auf einschlägige Gesetze beschieden.
Das ist jedoch keine Mitbestimmung. Straßennamen haben überregionale Bedeutung und sind nie nur auf die Anlieger beschränkt. Grenzt man es so ein, wie es bereits der CDU geführte Stadtbezirksbeirat Mitte im Fall Emmich-Platz gemacht hat, findet eine echte Bürgerbeteiligung nur auf dem Papier statt. Das diejenigen, die vielleicht zusätzlichen Eigenaufwand scheuen, eine höhere Hemmschwelle haben, als andere, die die stadtgesellschaftliche demokratische Entwicklung im Blick haben, erscheint logisch. Ersteren die Entscheidungsmacht zu übergeben ist falsch. Das hat dieser Abend eindrucksvoll bewiesen.
Arne Käthner meint
Vielen Dank für diese kritische Zusammenfassung!
Es ist unglaublich wichtig, dass es in den derzeitigen Diskussion Stimmen gibt, die sich dem ignorantem Festhalten an überkommen geglaubte Einstellungen entgegenstellt.