erscheint in Rosige Zeiten 146
Nach vier Jahren großer Koalition aus CDU und SPD ging im Herbst 2009 eine neue Regierung, diesmal aus CDU, CSU und FDP bestehend, an den Start. Im Folgenden soll untersucht werden, was sich in den letzten vier Jahren auf Bundestagsebene für Lesben, Schwule, Trans* und intergeschlechtliche Menschen getan hat und wie die entsprechenden Wahlprogramme umgesetzt wurden. In einem zweiten Teil – in der nächsten Ausgabe der Rosigen Zeiten – werden dann die Wahlprogramme für die kommende Bundestagswahl am 22.September diskutiert.
In ihrem 2009er Wahlprogramm hat die CDU explizit eine Gleichstellung von Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft (ELP) ausgeschlossen. Der kleine Regierungspartner FDP (welcher überraschend 14,6% erhielt und damit fast halb so viele Stimmen wie seine Koalitionspartnerin) forderte dagegen eine Gleichstellung von Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft, ein neues Transsexuellengesetz und eine Stiftung, die sich gegen die Diskriminierung von Lesben und Schwulen wendet.
Im Koalitionsvertrag hatte sich scheinbar die FDP weitgehend durchgesetzt: Auf Seite 4 heißt es: „Wir werden insbesondere (…..) gleichheitswidrige Benachteiligungen im Steuerrecht abbauen und insbesondere die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten umsetzen“. Weiter auf Seite 103: „Wir wollen die Ausgewogenheit von Rechten und Pflichten von Eingetragenen Lebenspartnerschaften verbessern. Dazu werden wir die familien- und ehebezogenen Regelungen über Besoldung, Versorgung und Beihilfe auf Lebenspartnerschaften übertragen.“ Zudem solle, so der gemeinsame Beschluss der Koalition, das Transsexuellengesetz (TSG) aktualisiert und auf eine zeitgemäße Grundlage gestellt werden. Zur Außenpolitik hieß es: „Wir wenden uns auch in unseren auswärtigen Beziehungen gegen jegliche Benachteiligung aufgrund von Religion, ethnischer Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung.“ Für dieses Ergebnis wurde die FDP vom LSVD (Lesben- und Schwulenverband Deutschlands) frenetisch gelobt.
Das Resultat ist letztlich ernüchternd: Sämtliche Versuche der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition, über Gesetzesinitiativen die Diskriminierung von Lesben und Schwulen zu verringern und eine Gleichstellung gleichgeschlechtlicher eingetragener Partnerschaften mit ehelichen andersgeschlechtlichen zu erreichen, wurden von der Koalition auf parlamentarischem Weg blockiert. Einzig mehrfache schallende Ohrfeigen des Bundesverfassungsgerichtes zwangen sie zu handeln. Selbst das erfolgte nur halbherzig, wie das Gezerre um die Stiefkindadoption zeigt. Dazu nachfolgend mehr. Auch die Änderung des Transsexuellengesetzes erfolgte nicht, nicht einmal nachdem das Bundesverfassungsgerichte wesentliche Teile des bisher geltenden Gesetzes für verfassungswidrig erklärt hatte. (Bislang war im Transsexuellengesetz für die Änderung des Personenstandes die Herstellung von ‚Fortpflanzungsunfähigkeit‘ – also Zwangssterilisation – vorgeschrieben.) Auch für intergeschlechtliche Menschen sind in dieser Legislatur keine Verbesserungen mehr zu erwarten. Zwar hat die Bundesregierung die Ethikkommission des Bundestages nach internationaler Kritik mit einer Studie beauftragt, die schließlich auch vorgelegt wurde. Außer einer Änderung des Personenstandes, die auf grund von eklatanten Mängeln von Seiten der Verbände intergeschlechtlicher Menschen in der Kritik stehen, ist aber nichts passiert. Ein Verbot der geschlechtszuweisenden Eingriffe an intergeschlechtlichen Minderjährigen ist nicht umgesetzt – hierfür liegen von allen drei Oppositionsparteien Anträge vor (vgl. die letzte ROZ, Nr. 145).
Erster Paukenschlag nach der Bundestagswahl war die Initiative der Länder Berlin, Bremen und Hamburg, das Grundgesetz zu verändern und ein Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Orientierung zum Bestandteil der deutschen Verfassung zu machen (Grundgesetz, Artikel 3, Absatz 3). Nach der schwarz/gelben dominierten Ablehnung im Bundesrat wurden analoge Anträge der Linksfraktion, von B90/Die Grünen und der SPD in den Bundestag eingebracht (Januar 2010). Am 21.04.2010 fand im Rechtsausschuss eine Expert_innen-Anhörung statt. Der von der FDP benannte Gutachter Prof. Dr. Bernd Grzeszick (Universität Heidelberg) warnte den Bundestag ausdrücklich, gegenüber Homosexuellen auf einen „Spielraum” für „Differenzierung” – also der Diskriminierung im Vergleich zu Heteros und Heteras – zu verzichten. Entsprechend lehnte der Bundestag mit den Stimmen von FDP und Union den Gesetzentwurf ab. Gleiches passierte mit Anträgen zur Verbesserung eingetragener lesbischer und schwuler Paargemeinschaften in Bezug auf das Erbrecht (Antragsteller: B90/Die Grünen und DIE LINKE), auf die Gleichstellung von Beamt_innen (B90/Die Grünen) und das Adoptionsrecht (B90/Die Grünen). Das zu der Zeit noch rot-rot regierte Land Berlin legte Initiativen zur Verbesserung der Situation homo- oder transsexueller Jugendlicher, zur Öffnung der Ehe (DIE LINKE, B90/Die Grünen, SPD; dem Antrag schlossen sich weitere Bundesländer an) und gegen Homophobie im Sport (SPD) vor.
Auch ein ebenfalls von Bündnis 90/Die Grünen eingebrachter Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der nach 1945 insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland nach §175 Verurteilten (Mai 2011), schaffte es nicht zum Gesetz. In der ersten Lesung vom 12. Mai 2011 haben die VertreterInnen von FDP und CDU ihre Ablehnung deutlich zu Protokoll gegeben. (Ein inhaltlich fast identischer Antrag der Linksfraktion (zu der Zeit noch PDS) scheiterte übrigens in der Schröder-Ära an der damaligen Regierungsmehrheit aus Bündnis90/Die Grünen und SPD.)
Festzuhalten bleibt: Trotz vollmundiger Bekundungen hat die FDP nichts von dem umgesetzt bekommen, was sie insbesondere bzgl. der Eingetragenen Lebenspartnerschaft aber auch zum Transsexuellengesetz angekündigt hatte. Trotz starker Fraktion waren letztlich bürgerrechtliche Regelungen gegen Diskriminierung nicht so wichtig, um sie tatsächlich gegenüber CDU/CSU durchzusetzen. Dass von der Union nichts zu erwarten war, verwundert nicht weiter.
Durch das Bundesverfassungsgericht gezwungen, musste die Bundesregierung zumindest die Stiefkindadoption umsetzen. Sie gestattet es Verlebenspartnerten, das leibliche Kind der Partner_in zu adoptieren. Die weitergehende Sukzessivadoption musste durch das Bundesverfassungsgericht in Kraft gesetzt werden, eine rechtliche Umsetzung erfolgte bisher nicht. (Bei der Sukzessivadoption geht es darum, dass ein bereits von einer_einem Partner_in adoptiertes nicht-leibliches Kind auch von der eingetragenen Lebenspartner_in adoptiert werden darf.) Auch die höchstgerichtliche Entscheidung zur steuerlichen Gleichstellung eingetragener Lebenspartner_innen mit Ehepaaren ist bislang nicht in Gesetzesform umgesetzt.
Wie bereits angedeutet passierte dennoch ein wenig für Trans* Menschen. Im Mai 2011 beantrage die Linkspartei in Folge einiger Urteile des Bundesverfassungsgerichtes die Aufhebung des Transsexuellengesetzes (TSG). Bereits im Juni 2010 hatten B90/Die Grünen vorgeschlagen, das TSG durch ein „Gesetz über die Änderung der Vornamen und die der Geschlechtszugehörigkeit“ zu ersetzen, das Namens- und Geschlechtsänderungen in Ausweisen den Standesämtern überlassen sollte. Beide Anträge scheiterten, allerdings wurde durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit sofortiger Wirkung die Regelung zur Zwangssterilisierung für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt und aufgehoben. Die Änderung des Personenstandes ist damit einfacher geworden.
Für Intergeschlechtliche Menschen sieht es dafür fortwährend düster aus. Zuerst wurde von Bündnis 90/Die Grünen der Antrag eingebracht Grundrechte von Intersexuellen zu schützen (April 2011) Dieser richtet sich vor allem gegen die geschlechtszuweisenden medizinischen Eingriffe. Vorgeschlagen wurde auch, die Regelungen für die Eintragung des Geschlechts ins Personenstandsregister so zu ändern, dass auch die Existenz von intergeschlechtlichen Menschen berücksichtigt wird. Prophylaktische geschlechtszuweisende Eingriffe bei intergeschlechtlichen Minderjährigen sollten unterlassen werden. Der Partei ging es auch darum, die Aufklärung und Beratung für von den Eingriffen Betroffene und von Eltern zu verbessern. Im Januar 2013 setzte die Bundesregierung eine Änderung des Personenstandes durch. Die getroffene Regelung wurde aber von den Inters*-Verbänden dafür kritisiert, dass sie es als Pflicht vorschreibt, dass ein intergeschlechtliches Kind kein Geschlecht eingetragen werden soll. Damit werde ein Zwangsouting intergeschlechtlicher Menschen durchgesetzt. Zugleich blieben die medizinischen Eingriffe zur Herstellung „eindeutigen“ Geschlechts weiter erlaubt, obwohl sich diese Eingriffe als extrem komplikationsreich, gefahrvoll und traumatisierend herausgestellt haben (vgl. für einen Überblick das Buch „Intersexualität – Intersex: Eine Intervention“ von Heinzi); auch ist weiterhin die Medizin die bestimmende Instanz in der Diskussion, anstatt eine gesellschaftliche Debatte um die Toleranz gegenüber vielfältigen geschlechtlichen Merkmalsausprägungen anzustoßen. Aktuell liegen dem Bundestag drei recht gute Anträge aller drei Oppositionsparteien vor, die geschlechtszuweisende Eingriffe bei intergeschlechtlichen Minderjährigen verbieten wollen und unter anderem auch die mögliche Entschädigung der durch die Medizin geschädigten Intergeschlechtlichen diskutieren. Auch die Anträge bleiben noch sehr der Medizin verhaftet, sind aber ein Schritt voran – ob noch eine sinnvolle Regelung im Sinne der Verbände intergeschlechtlicher Menschen vor der Bundestagswahl erreicht werden kann, erscheint fraglich.
Wenn schon gesetzgebend nichts passiert, bleibt die Frage nach den „weichen“ Faktoren. Wenigstens in der Außenpolitik hätte ein offen schwuler Außenminister gegen Menschenrechtsverletzungen protestieren können. Es blieb bei der Hoffnung. Menschenrechte wurden von der Bundesregierung nur eingefordert, wenn es darum ging eigene Interessen durchzusetzen und Kriege zu legitimieren (Vgl.: „Die Homo-Karte in der Politik“, in der letzten RoZ, Nr. 145). Selbst für Asyl werden in der Bundesrepublik Lesben, Schwulen und Trans* oft erheblich Probleme gemacht, die etwa auf unmenschliche Nachweise der „vorliegenden“ Homosexualität zielen oder notwendige medizinische Betreuung von Trans*-Personen und von Traumatisierten unterbinden. (Einem traumatisierten irakischen Flüchtling wurde entsprechend, nachdem sein Asylantrag in der BRD abgelehnt worden war, trotz EU-Drittenstaatenreglung in Großbritannien Asyl gewährt, mit der Begründung, dass eine Abschiebung in die BRD nicht möglich sei, da ihm dort keine ausreichende medizinische Hilfe zukomme.)
Zusammengefasst: Das Urteil für die Regierungskoalition der vergangenen Legislatur lautet auf ungenügend. In keinem der für Lesben, Schwule, Trans* oder intergeschlechtliche Menschen relevantem Politikfeld hat die Bundesregierung es vermocht, selbst Aktivitäten gegen Ungleichbehandlungen und Diskriminierungen zu entfalten. Letztlich umgesetzte Regelungen gehen allein auf das Bundesverfassungsgericht und auf internationale Rüge zurück.
TrIQ meint
Danke für den auch trans* und inter* Belange berücksichtigenden Artikel. Hier ein Bitte um Begriffsschärfung. Es handelt sich bei Inter* nicht um eine Änderung des Personenstandes – sondern den Personenstandsrechts. Kleiner, aber feiner Unterschied: in Deutschland sind nach wie vor nur männlich/weiblich als die beiden rechtlichen Personenstände vorgesehen. Vgl. auch Kritik von IVIM: http://www.intersexualite.de/index.php/pm-mogelpackung-fur-inter-offener-geschlechtseintrag-keine-option/.
Und zum TSG liegen die Forderungen der Betroffenen schon seit über einem Jahr auf dem Tisch: http://www.tsgreform.de, nur es kümmert keine_n.