Bericht zur Veranstaltung „Bundeswehr an Schulen: Rekrutierung im Klassenzimmer und der antidemokratische Hintergrund dieser Rekrutierungsstrategie“ (Mittwoch, 6. Juli 2011, ab 19 Uhr, im Pavillon, Hannover). Der Bericht wurde verfasst von und verantwortlich ist: Heinz-Jürgen Voß.
Hannover, 7.7.2011
Während es Lehrkräften sogar verboten ist, kleine Buttons mit der Aufschrift „Atomkraft? Nein Danke“ an der Kleidung zu tragen, weil die Schüler beeinflusst werden könnten, finden Werbeveranstaltungen der Bundeswehr unhinterfragt statt. Dabei zielen sie nun tatsächlich auf Beeinflussung ab: Die Bundeswehr soll als „normaler Arbeitgeber“ dargestellt, junge Leute, die bislang nur spärlich allein zur Bundeswehr finden, für eine Dienstverpflichtung gewonnen werden.
Die Werbestrategien der Bundeswehr, ihr antidemokratischer Hintergrund, der dem Bildungsauftrag von Schulen widerspricht, standen im Mittelpunkt einer am Mittwoch stattfindenden Podiumsdiskussion in Hannover. Auf dem Podium diskutierten Vertreter und Vertreterinnen von Friedensinitiativen, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft; Schüler brachten ihre Erfahrungen mit Werbeaktionen der Bundeswehr ein.
Jonna Schürkes von der Informationsstelle Militarisierung e.V. gab einführend einen Überblick über die Rekrutierungsstrategien der Bundeswehr. Diese knüpften an die Politik Gerhard Schröders an, der eine „Enttabuisierung des Militärischen“ erreichen und damit Auslandseinsätze legitimieren und das Militär stärker im Zivilen verankern wollte. Die Rekrutierung richte sich auf junge Leute. Mit ausgetüfftelten Strategien wird die Werbung explizit an den Interessen junger Menschen orientiert. Dabei spielen die so genannten „Karriere Trucks“ eine Rolle, die auf eine stete Präsenz des Militärischen im öffentlichen Raum abzielten. Der Bundeswehr-YouTube-Kanal und Aktivitäten der Bundeswehr bei Facebook zeigen die Verwendung neuer Medien. Während im deutschen Fernsehen Suggestiv-Werbungen untersagt sind, gibt es Fernsehserien, die in expliziter Co-Produktion mit der Bundeswehr entstehen – so „Die Rettungsflieger“ im ZDF, wobei die Homepage dieser Serie direkt auf das ZDF aber auch auf die Karrierewerbung der Bundeswehr verlinkt. Die Werbung für Helikopter-Fliegen und eine bemüht friedliche Darstellung des Militärischen sind in der Serie zentral. „BW-Olympics“ und „BW-Adventure-Tours“ sind paramilitärische Lager der Bundeswehr, zu denen explizit junge Männer im Alter von 17 bis 21 Jahren eingeladen werden, denen zusammen mit sportlicher Betätigung ein positiver Bezug zur Armee geboten werden soll. Auch auf Messen und in Arbeitsagenturen ist die Bundeswehr mittlerweile stets präsent – es werden dabei Kinder ab 11 Jahre angesprochen –, gerade weil nicht genügend junge Leute freiwillig zur Bundeswehr gehen wollen. „Leute, die Aussicht auf einen anderen Job haben, gehen nicht zur Bundeswehr“ – so Schürkes Erfahrungen.
Auch über die Werbung der Bundeswehr an Schulen gab Schürkes erste Informationen: In Schulen versuchen „Jugendoffiziere“ – explizit für Öffentlichkeitsarbeit geschulte Männer, meist Mitte 20 – sich einfach als „Politiklehrer“ vorzustellen und den Eindruck der Überparteilichkeit zu erwecken. Bereits mit ihrer Themenwahl machen sie aber deutlich, dass es sich anders verhält: So berichten sie in Hauptschulen und Realschulen über den „Soldaten-Beruf“, während sie in Gymnasien versuchen, die Auslandseinsätze der Bundeswehr als friedliche Hilfsmissionen darzustellen. In mehreren Bundesländern werden mittlerweile Bundeswehr-Soldaten gezielt als Dozenten für Referendare und Lehrer protegiert und eingesetzt. Dass sie nicht überparteilich sind, ist klar – sie sind ihrem Dienstherren verpflichtet und an die Gehorsamspflicht in der Bundeswehr gebunden.
Manuel Junge, ehemaliger Schüler der Elsa-Brandström-Schule in Hannovers Südstadt, und Sven vom Stadtschülerrat berichteten von eigenen Erfahrungen mit der Werbung der Bundeswehr. So wurde Manuel Junge genötigt, an einer mehrtägigen Projektwoche teilzunehmen, die von Jugendoffizieren in seiner Schule abgehalten wurde. War von der Schulleitung zuvor zugesichert wurden, dass explizit kontroverse Diskussionen entstehen sollten, so erfüllte sich dies bei der Veranstaltung nicht. Ausschließlich Jugendoffiziere waren anwesend und spielten mit den Schülerinnen und Schülern das „POL&IS-Spiel“ und besuchten mit ihnen den Fliegerhorst Wunstorf. Die Lehrkräfte waren zwar anwesend, verhielten sich aber auffallend passiv. „POL&IS“ ist ein „Spiel“ mit verteilten Rollen, bei dem das Militär als friedliche Instanz in der Weltpolitik dargestellt werden soll. Die Jugendoffiziere nahmen dabei immer wieder – teilweise durch direkte Anweisungen, teilweise suggestiv – Einfluss, um die Richtung der Diskussion zu bestimmen. Auf einen kritischen Brief, den Manuel Junge diesbezüglich an den Schulleiter Thomas Seidel-Becker schrieb, erhielt er zunächst keine Antwort. Erst nachdem sein Brief über Umwege in der Schülerzeitung gedruckt wurde, antwortete Seidel-Becker, ebenfalls in der Schülerzeitung: „Auch zukünftig werde ich Schülerinnen und Schülern eines Schwerpunktkurses Politik ‚zumuten‘, verbindlich an einem Projekt wie POLIS teilzunehmen.“ (Briefe aus der Schülerzeitung in der Anlage)
Sven vom Stadtschülerrat berichtete von suggestiven Werbeaktionen der Bundeswehr. Wurden besonders aktive Schülerinnen und Schüler zu einem „Bundespressefest“ eingeladen und standen in den ersten Stunden tatsächlich Schülerzeitung, Videofilmen und praktische Ratschläge hierzu im Blickpunkt, widmete sich der Rest der Veranstaltung der Bundeswehr-Werbung: Die Logistik-Division veranstaltete Shows, organisierte eine Liveschaltung nach Afghanistan. Die Division wurde als Einheit vorgestellt, die humanitäre Hilfe organisiere und erläutert, wie sie Essen logistisch verteile. Dass auch sie an den soldatischen Tätigkeiten Kämpfen und ggf. Töten teilnimmt, tauchte in der Präsentation nicht auf. Sven verweist darauf, dass der Stadtschülerrat sich nach diesem Vorkommnis bereits über das Thema ausgetauscht, aber bislang keinen Beschluss gefasst hat. Er macht als seine persönliche Sicht deutlich: „Die Bundeswehr ist kein normaler Arbeitgeber. Auch als Mechatroniker bei der Bundeswehr unterstützt man potenziell Töten.“
Harald Haupt, Kreisvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, arbeitete klar die Position seiner Gewerkschaft heraus und gab erste praktische Hinweise für den Umgang mit Bundeswehr an Schulen. „Die GEW ist der absoluten Überzeugung, dass man Frieden schaffen kann ohne Militär“, so Haupt. Er arbeitete heraus, dass an die Schulen keine Jugendoffiziere gehören, sondern Pädagogen. Möglichkeiten zur Konfliktlösung sollten thematisiert werden, aber je aus unterschiedlichen Perspektiven – und Pädagogen sind dazu ausgebildet, hier gutes Material einzusetzen und unterschiedliche Sichtweisen zu ermöglichen. Haupt: „Die Bundeswehr ist kein normaler Arbeitgeber“ – und gehöre nicht an Schulen. Harald Haupt verwies auch darauf, dass es zu einer vollkommenen ungleichen Gewichtung komme, wenn sehr gut ausgebildete, psychologisch geschulte Jugendoffiziere auf der einen Seite, VertreterInnen der Friedensinitiativen auf der anderen Seite an Schulen diskutierten – auf Grund der langen Schulung werde der Jugendoffizier auf jeden Fall dominieren. Dies bestätigte auch Jonna Schürkes. In einer entsprechenden Veranstaltung wich ein Jugendoffizier auf alle kritischen Aussagen aus, meinte bspw. ‚Dazu gibt es auch in der Bundeswehr unterschiedliche Auffassungen‘, eine Diskussion kam nicht zu Stande. Harald Haupt regte an, die nach den Reformen der letzten Jahre wenigen verbliebenen demokratischen Möglichkeiten an Schulen zu nutzen: Entscheidungen des Schulvorstandes und der Gesamtversammlung können Militär dauerhaft von der eigenen Schule verbannen, selbst wenn der Schulleiter bzw. die Schulleiterin sich für militärische Werbeveranstaltungen aussprechen. Werden diese Gremien nicht für das Thema sensibilisiert, entscheidet die Schulleitung allein.
Kamen bereits zwischendurch zahlreiche interessierte Nachfragen aus dem 45 TeilnehmerInnen zählenden Publikum, so schlossen sich gerade bzgl. der praktischen Fragen intensive Diskussionen an. Expliziert wurde, dass es darum gehen müsse, jeweils ganz konkret an Schulen SchülerInnen, Eltern, LehrerInnen zu sensibilisieren und auf die Möglichkeiten hinzuweisen, Werbeveranstaltungen der Bundeswehr durch Aktivitäten des Schulvorstandes und der Gesamtversammlung zu unterbinden. Weitere Möglichkeiten der Aufklärung sollten genutzt werden – dabei müssten gerade Medien im Blick sein, die sich explizit an LehrerInnen, Eltern, SchülerInnen richten. Es gehe darum, die Werbeveranstaltungen der Bundeswehr an Schulen grundsätzlich zu unterbinden. Nur wenn sich eine solche Veranstaltung nicht verhindern lässt, müsste durchgesetzt werden, dass auch Friedensinitiativen an den Schulen zu Wort kommen, damit zumindest unterschiedliche Meinungen im Blick sind. Um dabei die unterschiedliche logistische Ausstattung, die gute diesbezügliche Schulung der Jugendoffiziere und die meist ehrenamtliche Tätigkeit der Friedensinitiativen zu berücksichtigen, sollten solche Veranstaltungen dann getrennt, also nacheinander ablaufen, damit die beteiligten Seiten weitgehend gleichberechtigt ihre Position darstellen können – die SchülerInnen sollten dann mit ihren Lehrkräften in einer nachbetrachtenden Veranstaltung die unterschiedlichen Positionen nebeneinanderstellen und diskutieren.
In einem Bundesland wie Niedersachsen, in dem der Kultusminister in Anspielung auf dessen militärische Vorlieben von Parteifreunden mit dem Spitznamen „Panzer“ bedacht ist, ist es um so wichtiger, den demokratischen Bildungsauftrag von Schulen zu stärken und gegen militärische Werbung an Schulen aktiv zu sein. Die TeilnehmerInnen vereinbarten einen Termin, um – gemeinsam mit dem Bündnis „Schulen ohne Militär“ – in einem Bündnis gegen die Werbung der Bundeswehr an Schulen konkret aktiv zu werden. Friedensbüro Hannover, DFG-VK Hannover und „Schulen ohne Militär“ laden hierfür alle Interessierten für den Dienstag, den 23.8.2011, um 19.30 Uhr ein. Ort ist der Pavillon (Lister Meile 4, Hannover)Raum 6 – weitere Informationen in Kürze auf www.frieden-hannover.de .