Am Pfingstwochende fand der CSD Hannover statt. Wie jedes Jahr stellt sich die Frage: Will ich teilnehmen?
Das Motto ist wenig beherzt und nicht politisch – „Liebe ohne Grenzen – Liebe zur Vielfalt“ sagt alles und nichts aus. Mein Blick geht vom Motto aus weiter und ich suche nach Forderungen – vergebens. Weder hat der CSD Hannover einen Forderungskatalog, noch zeigen die Organisierenden Interesse an einer politischen Demonstration. Auf der Homepage des CSD wird die Parade mit ein paar dürren Worten abgespeist, hingegen wird breit für kommerzielle Angebote in den nächsten Wochen geworben. Und hier zeigt sich keineswegs gelebte oder geliebte ‚Vielfalt‘. Statt mit Geschlechtervielfalt wird nur mit den ewig gleichen gestylten Männer geworben, genau wie auf den allmonatlich gleichen und stets langweiligen Ausgaben der hannover’schen Schwulen-Zeitschrift „Gay-People“. Immerhin gibt es noch den Link „Szene“ auf der Homepage des CSD-Hannover. Ich habe noch etwas Hoffnung, immerhin waren zuletzt die queeren Regisseure Aydın Öztek und Aykan Safoğlu in Hannover, mit ihren queeren politischen Kurz- bzw. Dokumentarfilmen, die international gewürdigt sind. Und immerhin gibt es auch einige Orte, an denen zumindest randständig auch Politik in der lesbischen und schwulen Szene Hannovers eine Rolle spielt, wenn auch Möglichkeiten für Trans* und Inters* noch immer (nahezu) völlig fehlen. Doch bei der Szene, die der CSD Hannover kennt, bleibt der erhoffte leichte politische Aufschlag aus. Auf der Homepage heißt es nur kurz und knapp und ich zitiere vollständig: „Szene in Hannover: Neben regelmäßigen Partys & Events hat Hannover eine Reihe an schwul-lesbischen Locations. Fever Club (Club/Discothek), Caldo (Cocktailbar), Café Konrad (Café), Martinos (Bar)“. Nur die kommerziellen Schuppen – krass! Es zeichnet sich eine klare Szenerie: Cis*-Männer der Mittelklasse, schwul, weiß bespaßen sich selbst. Mich juckt es, endlich eine Gegendemonstration anzumelden, denn weiße cis*-Männer dominieren ohnehin die ganze Gesellschaft, meist auf Kosten von ‚Vielfalt‘.
Ich bin ärgerlich, hatte ich doch erwartet, dass zumindest die kleineren Regional-CSDs noch etwas politisch sind und sich eben mit klaren Forderungen für ‚Vielfalt‘ und gegen Diskriminierungen wenden, gerade auch mit Blick auf die in der Gesellschaft Prekarisierten, also arme Lesben und Schwule, Trans* und Inters*, Queers of Color. Gegen Rassismus, gegen Transphobie, gegen die nationalistische Vereinnahmung schwuler und lesbischer Kämpfe – das wären aktuelle Forderungen. Unterstützungsangebote für Trans* und Inters* müsste es endlich auch in Hannover geben – immerhin zeigen bundesweite und europaweite Studien enorm hohe Raten an Suizid-Versuchen unter diesen Personengruppen, je nach Studie haben zum Beispiel 30 Prozent der Trans* mindestens einen Suizid-Versuch hinter sich. Es wurde gerade für Hannover gezeigt, dass die Aufklärungsangebote, die sich an Lesben und Schwule richten, nur von solchen der weißen Mittelklasse in Anspruch genommen werden, wogegen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund nicht erreicht werden. Das sind immerhin 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Hannover, und sie haben offenbar keinen Zugang zu Beratungsmöglichkeiten, weil schon die Werbemittel der Beratungsstellen selbst ausschließlich weiß und klar zweigeschlechtlich normiert sind und konkrete Problemfelder, die Queers of Color betreffen, nicht ansprechen, nämlich rassistische Diskriminierung in der Schule, bei der Ausbildungsplatz- und Jobsuche, bei der Wohnungssuche. Aber nicht nur in den kulturellen Codes, die die Beratungsstellen – und in besonders starkem Maß der CSD-Hannover – nach außen darstellen, zeigt sich die Teilhabe an der ‚normalen‘, weißen Mittelklasse und ihren Ausschlüssen, sondern auch in der Stellenbesetzung. In der lesbisch-schwulen Aufklärungsarbeit haben Queers of Color offenbar bisher keine Chance, einen Job zu erhalten. Auch das gilt es endlich zu ändern!
Es wären also Forderungen nötig. Aber bereits im Vorfeld des CSD Hannover zeichnete sich für mich ab, dass es vermutlich nicht emanzipatorisch sein kann, zum CSD zu gehen. Eine Mail des Vorstands des lesbisch-schwulen Vereins Leinebagger, in dem auch ich in der Sparte Fußball organisiert bin, machte mich stutzig. In der Mail, in der um die Unterstützung bei der Präsentation des Leinebagger-Vereins beim CSD Hannover geworben wird, heißt es: „Dabei geht es gerade nicht um schrille Outfitsoder verrückte Aktionen – auch wenn diese natürlich auch willkommen sind 🙂 Wir wollen zeigen, wie ‚normal‘ ein schwul-lesbischer Sportverein in Norddeutschland 2014 aussieht.“ Normalität zeigen, so heterosexuell wie möglich sein, Tunten, Trans * unwillkommen. Das ist die unterschwellige Botschaft. Weiß, mehrheitsdeutsch, unauffällig – halt nur mit dem Makel schwul oder lesbisch. Das ist die Realität 2014. Die heteronormative Gesellschaft hat gewonnen.
Aber es kommt noch besser. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung zitiert den Mitveranstalter des CSD Hannover, Lutz Rädecker: „In Hannover haben wir aber keine Probleme“. Wozu dann noch demonstrieren? Die Aussage Rädeckers ist so dumm wie falsch und zeigt einmal mehr, dass es den Veranstaltenden offenbar nur um Marketing für die kommerzielle Szene ging. Einige Beispiele für notwendige politische Forderungen habe ich bereits angeführt. Es gibt guten Grund für Demonstration und Streiten für Veränderung – gerade in Hannover. In Hannover gibt es nicht einmal eine vernünftige psychosoziale Beratung für Lesben und Schwule, also eine die ihre Beratung über die gesamte notwendige Zeit für die Ratsuchenden kostenlos anbietet. Angebote für Trans* und Inters* fehlen ganz. Menschen mit Migrationshintergrund werden durch Mängel im Beratungssystem praktisch gar nicht erreicht. Last but not least. Wer sich offen lesbisch oder schwul in Hannover zeigt, hat mit Pöbeleien und Anfeindungen durch Rechte zu kämpfen. Gehen meine Freunde und ich händchenhaltend oder küssen uns mal, dann werden wir regelmäßig beschimpft, oft von einem Neonazi-Pärchen.
Auch ein Blick weiter auf Niedersachsen hilft, Missstände wahrzunehmen, gegen die es zu streiten gilt. Als 2012/13 in Sachsen-Anhalt ein Gesetz eingeführt wurde, dass die Zwangstestung auf HIV und Hepatitis ermöglicht, gab es einen Aufschrei in der schwulen Community. Immerhin werden damit auch Schwule bedroht, insbesondere diejenigen, die ‚dreckigen‘ Sex suchen, an ungewöhnlichen Orten, anstatt im bürgerlichen ehelichen Paarmodell. Und diejenigen, die of Color, häufigeren Polizeischikanen ausgesetzt sind. Zu Sachsen Anhalt gab es Aufschrei – in Niedersachsen besteht ein solches Gesetz schon lange (seit 2007) und es regt sich kein Widerstand dagegen. Und warum gibt es keinen Aufschrei dagegen, dass HIV-positive Menschen immer stärker kriminalisiert werden und teils sogar dann staatlich mit Strafe bedroht werden, wenn sie alle Safer-Sex-Ratschläge der Aids-Hilfen beachten.
Aber hier tätig zu werden, sich für ausgegrenzte Queers einzusetzen, passt wohl nicht ins Kommerz- und Mittelklasse-Programm. Man ist lieber Teil bürgerlicher Norm und Ausgrenzung. Und dann macht auch der Satz des CSD-Mitveranstalters Sinn, „In Hannover haben wir aber keine Probleme“. Kurz: Man ist angekommen – im deutschen rassistischen und zwei-geschlechtlich normierten Mainstream und kämpft nicht gegen Seinesgleichen.
Hendrik meint
Ich finde es traurig, dass wir von der SchLAu Hannover e.V auf dem CSD in Hannover nicht wahrgenommen oder erwähnt wurden, in diesem Artikel. Immerhin haben wir uns ein Statement ausgedacht, Schilder gehabt und diese den ganzen Demonstrationsmarsch in die Höhe gehalten. Vielleicht war es doch ein bisschen zu schwierig unseren Sarkasmusund unsere Botschaft zu verstehen.
„Wir sind die Ideologie des Regenbogens“
Ich finde es unfair, ein Kommentar zum CSD in Hannover abzugeben,ohne seine Augen genau auf die vereinzelten Gruppen geworfen zu haben.
Es gab auf dem CSD Hannover eine Förderung!
Alex meint
Auch von mir ein paar Worte zu den Ihren:
Ich schließe mich hiermit Hendrik’s Ansicht an; haben wir doch nicht nur mit Schildern demonstriert und unser großes Banner gehisst, sondern zudem auch zich politisch behaftete Aufkleber an die Umstehenden und Mitlaufenden geheftet und unser beherztes Anliegen in Form von in mühevoller Kleinstarbeit gestalteten Postkarten erläutert!!
Also: Beim nächsten Besuch die Äugeleins von den großen Wagen auf den kleinen richten, der in strampelnder Schweissarbeit Umweltbewusstsein angetrieben wird!
Liebe Grüße
Alexandra K.
P.S. SchLAu Fördern können Sie unseren Verein auf: http://www.hannover.schlau-nds.de/pages/schlau-foerdern.php
oder Sie schauen mal privat vorbei und werden selber Mitglied;)
verqueert meint
@SCHLAU
Das will ich ja gar nicht in Abrede stellen, mein Beitrag bezog sich auf Forderungen und Darstellung der Organisator_innen zum CSD. Ansatzpunkt einer politischen Demonstration ist schließlich der Aufruf unter dem für oder gegen etwas demonstriert wird. Dieser hies in Hannover: Alles bloß keine Politik, schliesslich ist ja alles so super hier [IRONIE OFF]
Patrick Watermann meint
Sehr geehrter Autor,
ich möchte bitten, dass das nächste mal ein Kommentar von jemanden über die Hannover Pride verfasst wird, der auch am Tag der Veranstaltung vor Ort gewesen ist! Es gab keine politischen Inhalte? Das ich nicht lache. Bei der Hannover Pride wurde dieses Jahr der Diskriminierungspreis verliehen, auch die Aktion „Bürger 2. Klasse“ ist vom Hannover Pride organisationsteam ausgearbeitet wurden. Dazu gab es mehrere Redebeiträge. Während der Demonstration (bitte lies auch unsere Presserklärungen noch einmal durch: überall wird das Wort Demonstration verwendet nicht Parade) hat jeder Verein/mensch die Möglichkeit sich zu zeigen und zu präsentieren. Und auch hier kamen viele Trans, Drag und andere nicht heteronormativlebeneden Menschen und konnten ihre Lebensweisen darstellen. Dazu ist eine Demonstration da und dazu wurde sie auch dieses Jahr genutzt!
Auch am Sonntag gab es Redebeiträge und kurze Diskussionsrunden auf der Bühne. Doch noch viel Wichtiger ist das Straßenfest, wo sich alle Vereine/Gruppen präsentieren können. Hier haben sie die Möglichkeit, ihre Arbeit vorzustellen und in Kontakt mit Menschen zu kommen. Und hier stößt ein Organisationsteam auf ihre Grenzen. Die von Ihnen genannten Gruppen stehen hier (leider) selber in der Pflicht, sich zu zeigen und zu präsentieren. Wenn Gruppen diese Möglichkeit nicht nutzen, dann liegt das leider ausserhalb des Einflussgebietes eines Organisationsteams. Wir schaffen jedes Jahr den Ort und den Rahmen, wo Vereine und Gruppen auf ihre individuellen Bedürfnisse hinweisen können und auch gehör finden. Dabei kommen die Vereine/Gruppen nicht nur mit „Konsumenten“ zusammen, sondern auch mit anderen Vereinen, womit sie sich weiter außerhalb dieses Wochenendes vernetzen können. Wir haben alle Vereine/Gruppen in einem Verteiler involviert, wo wir regelmäßig auf die Hannover Pride hinweisen. Es gibt im Vorfeld und zur Nachbesprechung der Hannover Pride mehrere Planungstreffen mit den Vereinen/Gruppen. Auch hier fördern wir die Vernetzung innerhalb der Community, um dann geschlossen nach außen hin uns auf der Hannover Pride uns zu zeigen. Und auch dies hat sehr wohl einen politischen Charakter.
Ich finde diesen Artikel eine absolute Unverschämtheit gegenüber den sehr kleinen Hannover Pride Organisationsteam, die 1 Jahr für diese Veranstaltung EHRENAMTLICH in ihrer Freizeit gearbeitet haben und sehr wohl, meiner meinung nach, politischen Hannover Pride geschaffen haben. Jeder, der solch eine Kritik äußert, ist sehr gerne eingeladen, die Hannover Pride 2015 mit zu organisieren, als derartige Statements zu verfassen!
Mit freundlichen Grüßen
Hannover Pride Mitorganisator
Patrick Watermann meint
achso eine sache noch: die offizielle Homepage für die Hannover Pride ist http://www.hannoverpride.de und nicht http://www.csd-hannover.de! hätten Sie von Anfang an auf unsere Homepage geguckt, dann hätten Sie auch wesentlich mehr Informationen bekommen, als Sie auf der anderen Homepage (die wir nicht betreiben) gefunden haben!
Alex meint
Hallo verqueert! Danke dir für deinen kritischen Beitrag. Bei genauerem Überblick über die Homepages (csd-han… und hannoverpr…) und die Interviews teile ich deine Einschätzung: Solche rein kommerzielle Grütze habe ich noch nie (!!) unter dem Label CSD oder „Pride“ gesehen. Da ist ja gar nichts mit Politik. Und ich bin zumindest über das Straßenfest gegangen: keine Politik (ein SPD-Stand – mit nur einem oder zwei Flyern -, wenn ich mich recht erinnere) und kaum ehrenamtliche Projekte, stattdessen Unternehmensmarken und ein paar Trinkstände. Das hat nichts mit CSD zu tun.
stefan meint
Auch ich finde diesen Blogeintrag zum CSD Hannover völlig deplatziert und unverschämt; möchte sowohl Alex wie auch Hendrik und Patrick zustimmen.
Darüber hinaus möchte ich die*den Verfasser*in des Blogs auch gerne noch einmal darauf hinweisen, dass sämtliche! Planungs- und Vorbereitungstreffen zum Hanover Pride öffentlich waren und alle Menschen die Möglichkeit hatten, daran teil zu nehmen. Gibt es bessere Werbemöglichkeiten, um die Menschen aus den von dir angesprochenen Gruppen, mit ins Boot zu holen? Dann erzähl uns davon und hilf dabei den Hannover Pride zu verbessern.
Wenn du doch so erfahren bist (das lese ich auch dem Blogeintrag) und viele tolle Kontakte in die PoC, Trans*, Inter und queere Szene hast, dich so unglaublich gut mit Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierungen auskennst, so politisch bist, wäre es doch ein leichtes für dich, liebe* verfassende Person, an den Treffen teilzunehmen und deine Fachexpertise zur Verfügung zu stellen und dort mit zu gestalten.
Fühl dich dazu herzlichst eingeladen. Vielleicht schaffen es alle zusammen, auch an alte Menschen, Menschen mit Beeinträchtigung, Kranke und anders diskriminierte zu denken.
Oder dürfen wir uns stattdessen wieder auf einen eher schlecht recherchierten Blogeintrag (es gibt bspw. Beratungsangebote in Hannover, sogar sehr spezielle, schonmal von den „youngFrienTS“ gehört?) und reißerische Statements freuen, die auch die letzten ehrenamtlich Arbeitenden demotivieren?
Konstruktive Kritik ist nämlich etwas anderes.
Dennoch nehmen wir uns die angesprochenen Punkte zu Herzen und versuchen es im nächsten Jahr besser zu machen. Ob du dabei bist, liebe*r Autor*in, bleibt hier allerdings die Frage.
Noch eine Abschlussbemerkung: Ausgesprochen Schade finde ich es, wenn die Unterstützung innerhalb der von dir angesprochenen „Szene“ so unglaublich unsolidarisch ist und sich selbst als „(…) Magazin (…) für lesben und schwule“ definierende Blättchen solche Artikel unkommentiert und ohne Rückmeldung übernehmen. Freund*innen macht mensch sich so nicht. Autsch!
Ich selbst habe auf dem CSD im „Fürstentum Oldenburg“ höchsten genau so viele Menschen mit Beeinträchtigung, psychisch Kranke, queers und PoC sowie politische Themen gesehen wie in Hannover. „Es zeichnet sich eine klare Szenerie: Cis*-Männer der Mittelklasse, schwul, weiß bespaßen sich selbst.“ (s.o.) Allen voran die unglaublich linke, basisdemokratische, queere, inklusive, überhaupt nicht cis*-männliche und mittelklasse-Fürstin. Stößchen. Es lebe die Monarchie!