erscheint in Rosige Zeiten 09/2013
Am 22.September wird der Deutsche Bundestag gewählt. Wie alle 4 Jahre schwärmen die etablierten und nicht so etablierten Parteien aus und erzählen ihren Wähler_innen, was sie in den nächsten Jahren zu tun gedenken, so man sie wähle. Bereits in der letzten Ausgabe der ROZ wurde berichtet, was aus den Versprechen der letzten Bundestagswahl geworden ist. Hier gibt es als Teil 2 nun einen Vorgeschmack auf das, was nun auf der Agenda der Parteien für Lesben, Schwule, Trans* und Inters* steht, glaubt man den gemachten Wahlaussagen.
Die Unionsparteien CDU/CSU machen, entgegen ihrem Spruch auf dem Wahlplakat „Jede Familie ist anders. Und uns besonders wichtig.“ mit ihrem Wahlprogramm im Vergleich zu 2005 wieder einen Schritt rückwärts. Lesbische und schwule Partnerschaften, die zudem scheinbar nur als Eingetragene Lebenspartnerschaften existieren, werden explizit aus dem Familienbegriff ausgegrenzt. CDU/CSU schreiben: „Wir bekennen uns zum Verfassungsgebot der besonderen Förderung von Ehe und Familie. Die Diskriminierung anderer Formen der Partnerschaft, auch gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, lehnen wir ab. Wir wissen, dass auch in solchen Beziehungen Werte gelebt werden, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind. CDU und CSU wollen Ehe und Familie stärken und mit guten Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass die Menschen ihren Wunsch nach Kindern und Familie verwirklichen können“ (Hervorhebung der Autor_in)
Was wie eine billige Antidiskrimierungsformel klingt, ist auch tatsächlich nicht mehr als das. Eine Abschaffung des Ehegattensplittings wird abgelehnt, alle weiteren Forderungen für eine verbesserte Arbeitswelt beziehen sich ausschließlich auf „Familien“ – gemäß dem Familienbegriff der Union sind Lesben und Schwule auch dort somit nicht gemeint. Die Frage der Adoption wird gar nicht erst thematisiert. Die vom Verfassungsgericht geforderte Änderung des Transsexuellengesetzes, die noch immer aussteht, fehlen genauso wie Forderungen für intergeschlechtliche Menschen, für die Gremien der Vereinten Nationen die Einhaltung der Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland gefordert hatten. Solche Lücken in wichtigen Fragen des Zusammenlebens und bei einem 128 Seiten starken Wahlprogramm? Die müssen schon gewollt sein. Und im Gegensatz zu den anderen Parteien wurde das Wahlprogramm nur im kleinen Führungskreis beschlossen.
FDP-Politik orientiert auf individuelle Vorsorge statt staatlichem Gemeinwesen. Sie verfolgt eine Marktsicht und entwickelt aus dieser heraus ihre Forderung nach der Gleichstellung eingetragener Lebenspartner zum Ehegattensplitting. Diese Forderung nimmt die FDP ins Wahlprogramm auf – wie schon 2005 –, immerhin nun hat das Bundesverfassungsgericht ja bereits klar geurteilt. Gleichzeitig fordern sie die Öffnung der Ehe und die Einführung eines Rechtsinstituts für Lebensgemeinschaften, das allen nichtverheirateten Paaren offen stehen soll. Schutz durch Antidiskriminierungsgesetze wird weiter explizit abgelehnt. Konkret fordert die FDP: „Um gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber Lesben und Schwulen abzubauen, setzen wir vorrangig auf Bildung und Aufklärung statt auf bürokratische Antidiskriminierungsgesetze. Deshalb wollen wir die gute Arbeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld weiter stärken und das Stiftungskapital erhöhen. Homosexuelle, die in Deutschland nach § 175 des Strafgesetzbuches verurteilt und damit Opfer staatlicher Diskriminierung geworden sind, wollen wir rehabilitieren und in angemessener Weise entschädigen. […] Wir werden uns für mehr Akzeptanz und Selbstbestimmung von Transsexuellen einsetzen – gerade auch in der Arbeitswelt. In einem neuen Transsexuellen-Gesetz wollen wir zudem die Hürden zur Personenstandsänderung verringern. Im Zuge dessen sollen die Leistungen der Krankenkassen bei Geschlechtsangleichungen gesichert und vereinheitlicht werden.“
Angesichts der völlig konträren Politik der FDP der letzten Jahre in Regierungsbeteiligung erscheinen diese Forderungen, insbesondere da sie sich nahezu analog bereits im letzten Wahlprogramm fanden, nur als Wahlkampfgetöse. Da die FDP sich allein auf eine Koalition mit der Union eingrenzt und wie bereits beschrieben die Merkel-Partei hinter ihren Forderungen der letzten Wahl zurückbleibt, wird nichts übrig bleiben, dazu ist – das haben die fehlenden diesbezüglichen Initiativen der FDP in den letzten Jahren deutlich gezeigt – das Thema nicht wichtig genug.
Abschließend wirft die Partei noch einen Blick in die Außenpolitik: „Wir werden weiterhin entschlossen der Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bi-Sexuellen, Transgender und Intersexuellen in der Außen- und Entwicklungspolitik entgegentreten und die begonnene Politik in diesem Bereich fortsetzen.“
Die Forderungen der SPD bleiben vage und überschaubar. Das Antidiskriminierungsgesetz soll überarbeitet werden (wobei weitgehend offen bleibt, wie). Außerdem soll das Ehegattensplitting in ein Partnersplitting gewandelt werden, wobei Besserverdienende nicht mehr so massiv gefördert werden sollen, wie bisher. (Menschen mit niedrigem Einkommen profitierten auch in einer heterosexuellen Ehe vom Ehegattensplitting quasi nicht.) Zusätzlich fordert die SPD für Lesben und Schwule, Trans* und Intergeschlechtliche Menschen: „Frei in ihren Entscheidungen sein und den eigenen Lebensentwurf verwirklichen – das wollen auch gleichgeschlechtliche Paare. Die Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften allein mittels Gerichtsurteilen ist für uns keine politische Option. Wir wollen die Ehe für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften öffnen und diese damit auch im Adoptionsrecht und im Steuerrecht gleichstellen. Nicht jeder Mensch fühlt sich dem Geschlecht zugehörig, das bei der Geburt festgestellt wurde. Und nicht jeder Mensch wird eindeutig weiblich oder männlich geboren. Im Bewusstsein dieser Realität setzen wir uns für die Achtung der Menschenwürde, der geschlechtlichen Selbstbestimmung und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit trans- und intergeschlechtlicher Menschen ein.“
Traditionell die weitgehendsten Forderungen haben die beiden kleinen Oppositionsparteien. Die Linkspartei beginnt mit einer Analyse: „Gleichstellung allein reicht uns nicht. Geschlechtergerechte Politik ist Gesellschaftspolitik und betrifft die Gleichstellung von Frauen, Männern, Transgendern und Intersexuellen, ohne dass ein Geschlecht oder eine Lebensweise als Norm gesetzt wird. […] Durch soziale Risse und Spaltungen können Sexismus, Antisemitismus, Feindlichkeit gegen Schwule, Lesben und Transmenschen wachsen“ Daraus folgert sie: „Zur rechtlichen Gleichstellung und gesellschaftlichen Akzeptanz der Vielfalt der Lebensweisen gehört die Überwindung der Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern. […]. Dazu ist auch der Ausschluss nicht verheirateter und lesbischer Frauen von der assistierten Reproduktionsmedizin zu zählen. Für DIE LINKE ist die Anerkennung der Vielfältigkeit aller diskriminierungsfreien Familienformen und Lebensweisen leitendes Prinzip: Einelternfamilien, Singles, zusammenlebende Freunde, Verwandte, Patchwork-Familien, Wahlverwandtschaften oder auch Paare, die sich gegen Ehe und Lebenspartnerschaft entschieden haben. Wir wollen nicht, dass überkommene und real diskriminierende Privilegien der Ehe beibehalten oder ausgeweitet werden. Auch Schwule und Lesben sollen heiraten können. Doch der besondere Schutz und die Förderung durch Staat und Gesellschaft sollen in Zukunft nicht Ehepaaren, sondern denjenigen zu Gute kommen, die mit Kindern oder Pflegebedürftigen leben und deshalb eine Kompensation daraus erwachsender Nachteile benötigen. Unsere Politikangebote richten sich nicht nur an diejenigen, die heute diskriminiert sind, sondern auch an die Nutznießer der noch immer geltenden, tradierten Rollenzuweisungen, an die Mehrheit der Männer. Auch sie haben ein Recht auf Wahlfreiheit der Lebensentwürfe, auf Familienarbeit und Ehrenamt. Alle sind aufgefordert, an der Überwindung überholter Rollenbilder mitzuwirken.“
Zur Umsetzung fordert DIE LINKE ein Klagerecht für Verbände im Allgemeinen-Gleichbehandlungs-Gesetz, eine Ergänzung des Artikel 3 des Grundgesetzes um das Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Orientierung und die Aufhebung der Urteile nach §175 nach 1945. Sie fordert die Abschaffung des Transsexuellengesetzes als Sondergesetz (bei Sicherstellung der Kostenübernahme für Operationen durch die Krankenkassen) und das Verbot geschlechtszuweisender Operationen im Kindesalter bei intergeschlechtlichen Menschen. Nach der Anfang 2013 von der Bundesregierung eingeführten und von Intergeschlechtlichen kritisierten Regelung im Personenstandsgesetz, dass der Geschlechtseintrag bei intergeschlechtlichen Menschen offen bleiben muss, nimmt DIE LINKE die Forderungen der Selbstorganisationen auf und fordert die Änderung des Wörtchens „muss“ in eine Kann-Bestimmung, bei gleichzeitiger Regelung, dass Vorname und Personenstand unkompliziert und vorbedingungsfrei geändert werden können.
Konzeptionell ähnlich sind die Vorstellungen von Bündnis 90 / Die Grünen. Die kleinste der Oppositionsparteien formuliert komplett entgegengesetzt zur Union: „Familie ist da, wo Kinder sind. Und Familie ist selbstverständlich da, wo Menschen füreinander einstehen und Verantwortung füreinander übernehmen. Kinder brauchen Eltern und Menschen, die sie lieben. Und es muss egal sein, ob die Eltern lesbisch, hetero oder schwul sind. Die ideologische Verweigerung des Adoptionsrechts und der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist diskriminierend und muss überwunden werden. Es ist unwürdig, dass die notwendige Modernisierung vom Bundesverfassungsgericht und nicht vom Parlament vorangetrieben wird.“ Zusätzlich zur Grundgesetzänderung Artikel 3 und einer Neufassung des Transsexuellengesetzes legen B90/Die Grünen einen Schwerpunkt auf einen Aktionsplan gegen Homophobie: „Wir wollen daher einen bundesweiten ‚Aktionsplan für Vielfalt‘, der Homophobie und Transphobie entgegensteuert, der Forschung u. a. zu Diskriminierungen sowie queeren Lebensweisen fördert, insbesondere Jugendliche stärkt und deren Ausgrenzung im Elternhaus, in der Schule und in der Freizeit entgegenwirkt. Im Besonderen brauchen wir für Menschen aller Altersklassen und vor allem Jugendliche einen Ausbau der Comingout-Beratung. Im Unterricht sollen alle Lebensweisen und sexuellen Identitäten gleichberechtigt dargestellt werden. Auch muss es möglich sein, im Alter nicht heterosexuelle Lebensentwürfe frei von Diskriminierung zu leben.“
Zusammengefasst: Es gibt wenig Neues, aber punktuelle Fortentwicklungen. Die Union unter Merkel geht einen Schritt zurück und entwickelt keine Initiative für Lesben und Schwule, ebenso wenig für transsexuelle oder intergeschlechtliche Menschen. Die FDP verspricht wieder viel, ohne sich zumindest zu den vergangenen vier Jahren zu erklären und darzulegen, warum sie es in Regierungsverantwortung nicht schaffte, zumindest etwas für Lesben, Schwule, Trans* und Inters* umzusetzen. Von der SPD kommt überraschend wenig und nur vages, offensichtlich will man auch konservative Wähler nicht verprellen. Allenfalls Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben sichtbar die aktuellen Debatten der letzten Jahre aufgegriffen und machen sich offensiv für Lesben, Schwule, Trans* und explizit und deutlich für Inters* stark.
Kim Schicklang meint
Trans* ist immer noch eine unzulässige Vereinnahmung und Vermischung, die Unsichtbarmachung zur Folge hat.
Nikita Noemi Rothenbächer meint
Nun Zeit vielen Jahren Aktivistin für Menschen-Rechte, vieles von diesem im Bericht aufgeführten ist bedauerlicher weise schlicht einfach so zu Verstehen.
Viele Versprechen jedoch in keiner Weise eine Ausführung eines einzigen wirklich konstruktiven Vorschlages! Zum einen haben wir ein GGB welches am Anfang dessen genau die Rechte und Pflichten bekannt gibt.
Würden diese Grundrechte wahrgenommen werden, müsste kein oder sehr wenige Gesetze überarbeitet noch bearbeitet werden.
Jedoch um dieses zu gestallten fehlt in jeder Partei die Voraussetzung und die Akzeptanz das es nicht nur Mann bzw. Frau gibt!
Zeit Jahrzehnten werden Minderheiten sogar tot geschwiegen denn angeblich gibt es keine Zwitter, das es Vielfältigkeit erwiesener Weise gibt wird Ignoriert!
Es geht nicht um Verbesserungen es geht um die Gunst der Stunde mit falschen Versprechen Wähler zu gewinnen um nach der Wahl genau diese wirklich brisanten Themen dann Tot zu schweigen.
Meine Damen und Herren wir haben es satt, immer und immer wieder falsche Versprechen zu hören.
Ich kann nur sagen die Glaubwürdigkeit dieser Politiker ist sehr stark in Frage gestellt!