Wenige Tage vor dem 1.9. wurde bekannt, dass sich die DFG-VK gegen die Rede des Ex-Militärs, Kreisvorsitzenden des Bundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) und Bundestagsabgeordneten Wilfried Lorenz als einem Hauptredner auf der zentralen Kundgebung der Stadt Hannover ausspricht. Die Reaktionen waren intensiv, sicherlich auch dem Sommerloch geschuldet. In mindestens sechs Beiträgen widmete sich die Lokalpresse dem Thema. Im Folgenden möchte ich die medialen Reaktionen kurz diskutieren.
Vorab: Wir – als Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Hannover – kritisierten den Auftritt von Lorenz, weil er als Militär, der bisher nie durch friedenspolitische Akzente aufgefallen ist, als Redner zu den Veranstaltungen zum Weltfriedenstag ungeeignet ist. In der Vergangenheit fiel Lorenz gar gerade dadurch auf, dass er militärische Interventionen befürwortete. Wir lehnten ihn also nicht ab, weil er in der CDU oder im VDK aktiv ist. Unterstützt wurde unsere Kritik von Linken und Grünen im Stadtrat.
Für die Kritik wurden wir verbal scharf attackiert. Der von SPD und CDU vorgetragene Hauptvorwurf war, dass Lorenz demokratisch gewählt sei und er deswegen reden dürfe, wo er wolle; alles andere entspräche einem fragwürdigen Demokratieverständnis. Lorenz selber – so verkündet er in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) vom 26.8. – beschwert sich, dass nicht mit ihm gesprochen worden sei – das sei, so Lorenz, „kennzeichnend für Menschen, die anderen den Mund verbieten wollen.“ Im Internet nennt man die Strategie, der sich Lorenz bedient, Derailing (das Gleis wechseln). Mit der Forderung, dass vor einer Kritik mit einem Bundespolitiker gesprochen werden müsse (oder er gar gefragt werden solle), verschiebt sich die Linie der Aushandlung. Erfolgreich schafft es Lorenz so, in eine Opferrolle zu schlüpfen und zu verhindern, dass eine Debatte über die eigentliche Kritik – er ist ungeeignet, weil Militär – stattfindet.
Rolf Wernstedt geht in der HAZ vom 27.08. noch einen Schritt weiter und rechnet gleich komplett mit der Friedensbewegung ab. Der Vorwurf: Es gäbe so etwas wie einen naiven Pazifismus. Wer prinzipiell keine Waffe in die Hand nehme, müsse akzeptieren, dass Völkermord geschehe (HAZ vom 27.08.2015). Da ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Aussage das Pazifistinnen und Pazifisten an Auschwitz schuld seien. Damit outet sich der ehemalige Landtagspräsident und SPD-Politiker als erklärter Gegner der Friedensbewegung. Es hatte mit der Kritik keinen Anlass für einen solchen Rundumschlag gegen die Friedensbewegung gegeben. Niemand hatte gefordert, dass nur ausgewiesene Pazifist_innen – wie sie auch immer dies zu definieren wären – reden sollten. Es gab nur die Forderung den ausgewiesenen Militär nicht am Antikriegstag reden zu lassen.
Den Höhepunkt setzte eine Facebookmeldung der CDU vom 26.8. Dort heißt es: „Müsste nicht die DFG-VK als Kriegsversteher am Antikriegstag ausgeladen werden, weil sie völkerrechtswidrige Kriegshandlungen rechtfertigt?“ Als Begründung zieht die CDU-Facebooker_in ein Zitat auf der Homepage der DFG-VK heran, auf der der renommierte Friedens- und Konfliktforsche Andreas Buro in einem Artikel, die Lage in der Ukraine analysiert und den Istzustand beschreibt („Russland versucht mit seiner Annexion der Krim und deren wichtigsten Kriegshafen Sewastopol, sowie mit seiner massiven Unterstützung von separatistischen Enklaven (Anmerkung: in der Ukraine) die Expansionspolitik des Westens offensiv zu beenden.“). Es muss sicher nicht erwähnt werden, dass die Christdemokraten den Rest des Zitats weggelassen haben. Deshalb füge ich es hier an: „Wir sagen, friedliche Zusammenarbeit zwischen West und Ost sind notwendig, möglich und dienen allen. Helfen wir, damit die Ukraine zur Brücke zwischen West und Ost wird. Erst so entsteht für die Ukraine und ihre heterogene Gesellschaft Freiraum für eigenständige demokratische Entwicklung und wirtschaftliche Konsolidierung.“ Mit Verleumdung versucht die CDU vom Thema abzulenken, von der Kritik, dass ein Militär zur Veranstaltung am Weltfriedenstag sprechen soll.
Es ist nach wie vor unsäglich, dass am Tag, der an den Beginn des Zweiten Weltkrieges erinnern soll, am Tag, der weltweit als der zentrale Fixpunkt der Sehnsucht und des politischen Streitens nach Frieden begangen wird, dass an diesem Tag ein ausgewiesener Freund militärischer Lösungen das offizielle Gedenken der Stadt Hannover darstellt. Ich glaube nicht, dass Frieden herbeigebombt werden kann. Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Eine Auseinandersetzung mit der Rolle des Militärischen hätte der Debatte um den 1. September gut getan. Die geführte Scheindebatte (die nebenbei keine Debatte ist) um überhaupt nicht Gesagtes, hilft nicht weiter.
PS: Noch ein Nachtrag zur eben gehaltenen Rede von Lorenz. Es war wenig Inhaltliches war zu hören, vielmehr eine Ansammlung von Allgemeinplätzen. Erst am Ende der Rede, kam Abgeordneter Lorenz – völlig unpassend zum Anlass – auf die Kritik an ihm zu sprechen. Er war für militärische Optionen als Mittel der Politik von Staaten, da nur diese Völkermord verhindern könnten, im Gegensatz zum Handeln von Individuen. Zudem betonte er mehrfach, dass es Soldaten gewesen seien, die die Befreiung vom Nationalsozialismus herbeigeführt haben. Dass es aber auch Soldaten waren, die den Krieg begannen – deutsche Soldaten – verschweigt er.
PS: Und von der HAZ (1.9.) als radikale Pazifisten bezeichnet zu werden… Dankeschön!