Gastbeitrag von Dirk Hogess
Nicht nur die Gülle- Das „Schweinesystem“ stinkt zum Himmel
Jedes Jahr produzieren Rinder, Schweine und Hühner davon mehr als 300 Milliarden Liter.
Schalker Fanszene gegen Hauptziel „System Tönnies“
Am 27.06.20 demonstrierten nach Angaben von Organisator Stefan Barta etwa 1.200 Schalke-Anhänger unter Einhaltung der Hygienevorschriften rund um die Veltins-Arena gegen Clemens Tönnies und den Klubvorstand. Zur angekündigten Menschenkette am Vereinsgelände Berger Feld war auch das frühere Schalker Fan-Idol Yves Eigenrauch gekommen. An mehreren Punkten hatten die Fans ihre Botschaft auf großen Bannern platziert: „Unser Vorstand – ein sozialer und moralischer Flop!“
Die Schalker Ultra-Bewegung hatte zuletzt nochmals intensiv den Abschied von Clemens Tönnies gefordert. Der Rücktritt war überfällig beim sportlich und finanziell schwer angeschlagenen Bundesligisten FC Schalke 04, auch aufgrund massiver Proteste der eigenen Fans beim Revierclub. Unter dem markigen Motto „Schalke ist kein Schlachthof! Gegen die Zerlegung unseres Vereins“ protestierten am letzten Wochenende etwa 1.200 Fans gegen den Schalke-Boss und forderten seinen Rückzug.
Himmelfahrtskommando Branchenboss-Tönnies bei S04 beendet
Der Unmut auf Tönnies wuchs, nachdem er im Herbst 2019 Afrikaner rassistisch beleidigte. Viele Mitglieder hätten den Verstoß gegen das Leitbild des Klubs gerne hart bestraft gesehen. Tönnies allerdings erlegte sich die Strafe quasi selbst auf, zog sich für drei Monate zurück und kam dann wieder, ohne wirklich Reue zu zeugen und seinen Fehler einzugestehen.
Am 30. Juni 2020 ein donnernder Paukenschlag: Clemens Tönnies trat von allen Ämtern beim FC Schalke 04 zurück.
Jahrelang war der milliardenschwere Fleisch-Branchenboss der starke Mann bei den Knappen aus Gelsenkirchen. Tönnies saß 26 Jahre lang in dem Gremium, seit 2001 war er der Vorsitzende. Der 64-Jährige stand nach den massenhaften Corona-Ausbrüchen in seinem Fleischimperium unter Dauerbeschuss. Machtwechsel und Zäsur? Der Nachfolger wird der bisherige Vize Jens Buchta.
Missstände bei Schalke: Millionenschwere Landesbürgschaft und Spardiktat-
Schon vor der Pandemie wuchsen die Verbindlichkeiten des FC Schalke 04 auf fast 197 Millionen Euro an. Der Steuerzahler soll nun in die Bresche springen. Um den Fortbestand zu sichern, soll der Club zur Absicherung von Bankkrediten bei der Landesregierung Nordrhein-Westfalen nun eine Bürgschaft von bis zu 40 Millionen Euro beantragt haben. Zuvor hatte der FC Schalke 04 schon beschlossen, eine Gehaltsobergrenze einzuführen. Neue Spielerverträge sollen künftig ein Jahresgehalt von 2,5 Millionen Euro nicht überschreiten.
Tierschutzrecht und Tierwohl? – Dumpinglöhne im Hochlohnland
Der verantwortungslose Fleischfabrikant Tönnies hat mit seinem Geschäftsmodell jedes Schlupfloch genutzt, und die Politik hat Tönnies eine Extra-Bratwurst gebraten und ihn jahrzehntelang gewähren lassen. Die unzumutbaren Arbeitszustände am Fleisch-Fließband eng an eng stehender Billiglöhner in der Massentierschlachtung und der Fleischkonsum befinden sich auf einem Rekordhoch. Werkverträge sind ein „Umgehungstatbestand“. Mit der Selbstverpflichtung wurde alles umgangen. In der Branche wird schon lange statt Werkverträgen eines Stammbelegschaft gefordert.
Arbeitsminister Heil kündigte nun vollmundig ein Gesetz zum Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit im Kernbereich der Branche an. EU-Sozialkommissar Schmitt kündigte Leitlinien an, um die Umgehung von EU-Sozialstandards europaweit zu verhindern. Auch CDU-Fraktionschef Brinkhaus trat mit der großspurigen Ankündigung an die Öffentlichkeit, nun müsse die Politik durch Gesetzgebung den „großen Hammer“ herausholen. Entpuppt sich das große Tamtam dann als Seifenblase und schließlich als Rohrkrepierer? DGB-Vorstand Piel appellierte an die Bundesregierung, die Reformen in der Fleischindustrie „schnell und rechtssicher“ umzusetzen und warnte vor „Nebelkerzen“ einzelner Fleischfabrikanten, die angekündigt haben, von sich aus auf Werkverträge zu verzichten. „Ankündigungen und Versprechen gab es bereits genug – passiert ist jedoch nichts“, sagte sie.
Seit Bekanntwerden des Massenausbruchs bei Tönnies steht die Region Gütersloh unter Generalverdacht. Der Lockdown wurde dort bis zum 07.06.20 verlängert-und wohl darüber hinaus? Im Freien dürfen sich nur zwei Menschen aus einem fremden Haushalt treffen. Nach dem massenhaften Corona-Ausbruch in der Tönnies-Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück werden in der Region insgesamt 38 Menschen mit Bezug zu Tönnies in Krankenhäusern behandelt. Neun von ihnen liegen auf Intensivstationen, zwei davon müssen beatmet werden. Bundeswehr auch in Rheda-Wiedenbrück und Gütersloh vor Ort.
Die Bundeswehr im Einsatz an der Virenfront
Viele Landespolitiker ersuchten in den vergangenen Monaten die Bundeswehr zur Bewältigung der Coronakrise um Amtshilfe, auch in NRW bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück und Gütersloh.
Aber: Laut Artikel 35, Absatz 3 des Grundgesetzes darf das Heer nur bei Naturkatastrophen zur Unterstützung ziviler Behörden etwa im medizinischen Bereich zum Einsatz kommen. Der Einsatz der Truppe bei der Vollstreckung von Zwangsmaßnahmen gegenüber Zivilisten wie etwa die Bewachung von unter Quarantäne gestellten Personen, ist ausgeschlossen. Abgelehnt wurden deshalb beispielsweise Anträge von Landkreisen, den Zugang zu Klinikgeländen oder Teststationen zu sichern. So hatte die Stadt Halle, das geht aus einer Antwort auf eine frühere Linken-Anfrage hervor, im April Sanitätspersonal „mit Ausstattung zur Bewachung der Krankenhäuser“ angefordert. Das wurde nicht bewilligt.
„Nur die Hälfte aller Amtshilfeanträge zur Unterstützung in der Corona-Krise wird von der Bundeswehr auch tatsächlich durchgeführt. Die hohe Zahl von Hilfeersuchen ziviler Behörden zeugt vor allem davon, wie sehr der zivile Katastrophenschutz und Sanitätsbereich in den letzten Jahren kaputtgespart wurde.“, erklärt die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, zur Antwort auf eine Kleine Anfrage zum Umfang der Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Zusammenhang mit der Corona-Krise. Demzufolge wurden bis zum 15. Mai 567 Anträge auf Amtshilfe eingereicht, von denen 285 positiv beschieden wurden. 192 Anträge wurden abgelehnt, 73 zurückgezogen. Jelpke weiter: „Zweierlei ist erschütternd: Zum einen, dass die zivilen Einrichtungen in einer Situation, die von einem wirklichen Notstand wie im Frühjahr im italienischen Bergamo weit entfernt ist, schon so an ihre Belastungsgrenze kommen, dass sie sich gezwungen sehen, die Bundeswehr zu rufen – häufig vergeblich.“
Nimmt Fleischkonzern Einfluss auf Politik?
Tönnies hat jahrelang Parteispenden an die CDU geleistet. In der vom Verein Lobbycontrol unterhaltenen Datenbank Lobbypedia, die sich aus Zahlen aus den Rechenschaftsberichten der Parteien speist, lassen sich für die Jahre 2002 bis 2017 insgesamt neun Einzelspenden der B. & C. Tönnies GmbH & Co. KG, der Tönnies Holding GmbH & Co KG und von Clemens Tönnies als Privatperson an die CDU finden. Die Höhe der Spendengelder variierte zwischen 11.900 Euro im Jahr 2015 bis hin zu 32.500 Euro im Wahljahr 2017. Insgesamt flossen in den vergangenen 18 Jahren 158.474 Euro von Tönnies an die CDU. Spenden an andere politische Parteien finden sich in der Datenbank nicht. Parteien in Deutschland sind verpflichtet, Spenden ab 10.000 Euro in ihren Rechenschaftsberichten aufzuführen, die sie beim Bundestagspräsidenten einreichen müssen. Kleinere Summen müssen nicht offengelegt werden. Berichtet das RND vom 22.06.20.
Der Ex-SPD-Vorsitzende und frühere Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist vom Fleischfabrikanten Tönnies als Berater bezahlt worden. Seit März 2020 bis mindestens Ende Mai 2020 war Gabriel für den Fleisch-Konzern tätig und erhielt bislang offenbar ein Pauschalhonorar von 10.000 Euro im Monat sowie ein zusätzliches vierstelliges Honorar für jeden Reisetag. Nach Recherchen des ARD-Magazins „Panorama“ hatte sich Firmenboss Clemens Tönnies persönlich um die Personalie Gabriel gekümmert. Gabriel verteidigte auch das Gehalt: „Für normale Menschen sind 10.000 Euro viel Geld. Aber in der Branche ist das kein besonders hoher Betrag.“ In der SPD herrscht darüber große Empörung. Die Parteilinke Hilde Mattheis betonte: „Gibt es irgendeine Lobby-Schweinerei, die du der SPD ersparen möchtest?“ Anfang 2015 hatte Sigmar Gabriel – damals noch als Bundeswirtschaftsminister – das System der Ausbeutung in der deutschen Fleischindustrie als „Schande für Deutschland“ bezeichnet.
Tierschutzrecht und Tierwohl
Die „Initiative Tierwohl“ ist ein Zusammenschluss von Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel und möchte seit 2015 „mehr Tierwohl“ in Schweine- und Geflügelställe bringen. Trotzdem findet die rücksichtslose Unterwerfung und Nutzbarmachung von Tieren weiterhin statt.
Aus wirtschaftlicher Sicht muss festgestellt werden, dass der gesteigerten Nachfrage nach Fleisch und anderer tierischer Produkte nur nachgekommen werden kann, wenn Rechte für Tiere nicht mitgedacht werden. Denn solche wären mit der heute üblichen Massentierhaltung schlicht nicht vereinbar. Im vergangenen Jahr wurden in der Bundesrepublik 3,5 Millionen Rinder, 55 Millionen Schweine und rund 622 Millionen Jungmasthühner geschlachtet. Allein die 10 Größten der Branche erwirtschafteten zusammen 21 Millionen Euro Umsatz im Jahr.
Die industrielle Kette vom Futtermittel und von der Aufzucht, über die langen Tiertransportwege bis zu Schlachtindustrie, über die Ladentheke oder in Plastikverpackung zum Kunden zugunsten des Profits verhohnepiepelt den Verbraucher mit „Wunderlabel“ und Zertifikaten. Im Handel bestimmen die großen Lebensmittel-Player Aldi, Edeka, Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland und die REWE-Gruppe den Markt und liefern sich einen Preiskampf. Fleisch bleibt ein Lockartikel bei Aldi, Lidl und Co.
Die Tönnies-Holding hat einem Umsatz von mehr als 7 Milliarden Euro im Jahr. 17 Millionen Schweine verarbeitete Tönnies im letzten Jahr. Weltweit ist die Firma Tönnies an 28 weitere Standorten mit rund 16.500 Beschäftigten vertreten.-Die meisten davon malochen in der Bundesrepublik. Am Stammsitz in Rheda-Wiedenbrück werden bis zu 30.000 Tiere pro Tag geschlachtet. Das zweitgrößte Werk befindet sich in Sachsen-Anhalt Weißenfels mit 2.200 Mitarbeitern. Bis zu 20.000 Tiere werden dort pro Tag geschlachtet. Heute exportiert Tönnies in 82 Länder. Im niedersächsischen Badbergen baut Tönnies gerade ein neues Werk den Schlacht- und Zerlegebetrieb für Rindfleisch in Europa für schlappe 85 Millionen Euro. Dort sollen dann 9.000 Rinder pro Tag geschlachtet werden. Der Schweine-„Stau“ auf den Höfen beläuft sich bundesweit auf 150.000 nicht geschlachtete Schweine. Jeden Tag kämen weitere 10.000 dazu, so Hubertus Beringmeier, Präsident des Westfälischen Landwirtschaftsverbandes.
Die Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück (Kreis Gütersloh) bleibt vorerst bis zum 17. Juli geschlossen. Aber wieder mal wurde ein Schlupfloch gefunden, denn es wäre eine Produktion in Teilbereichen mit Frischfleisch aus anderen Fabriken möglich.
Jedes Schwein, jedes Rind und jedes Huhn wird in Deutschland gezählt, aber Tönnies braucht keine Auskunft zu geben, wieviele Werkverträgler*innen bei ihm arbeiten. Bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Schlachthöfen müssten die gleichen Regeln wie beim Tierschutz gelten, sagte NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Montag in Düsseldorf.
Der Bundesrat beschloss am 03.07.20 nach fünfjähriger Debatte eine Änderung der Nutztierhaltungsverordnung, die die Haltungszeiten von Sauen im sogenannten Kastenstand verkürzt. Ein Detail aus dem Kompromiss ist besonders umstritten: Für die Reduzierung des Kastanstands im Abferkelbereich sieht er eine Übergangszeit von bis zu 17 Jahren vor
Die Politik auf Landes- und Bundesebene eher mit Planspiele und vollmundigen Ankündigungen dazu
Unter Federführung der „Weinkönigin“ Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner fand kürzlich in Düsseldorf ein Fleisch-Gipfel statt. Kritiker sprechen von einer „Show-Veranstaltung“. Es handelte sich eher um eine CDU-Veranstaltung. Gastgeberinnen waren auch die Landwirtschaftsministerinnen von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, Ursula Heinen-Esser und Barbara Otte-Kinast (beide CDU). Auch das Kartellamt, Tierschützer und Veterinäre waren eingeladen. Neben Arbeitnehmervertretern nahmen Vertreter der Land- und Ernährungswirtschaft, der Schlachtereien, des Lebensmittelhandels und der Verbraucher an dem Treffen teil. Anja Piel aus dem DGB-Vorstand monierte, dass erst „auf Nachhaken“ und „in letzter Minute“ Vertreter der Beschäftigten eingeladen worden seien. Offenbar solle eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten der Fleischbranche nicht im Vordergrund stehen, sagte Piel der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ).
Protest von Tierschutz-Aktivist*innen
Über 100 Aktivist*innen vom Bündnis „Gemeinsam gegen Tierindustrie“ protestierten am 04.07.20 gegen die Missstände bei Tönnies auf dem Dach sowie dessen Hauptzufahrtsstraße und forderten auf einem Spruchbanner „Shut down Fleischindustrie!“
Die Linke im Bundestag wirft der Großen Koalition vor, ein Verbot des Fern-Transports lebender Tiere zu verschleppen. Die agrarpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Tackmann, sagte am Dienstag im rbb-Inforadio, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes sei nicht nicht umgesetzt worden. Demnach müssen Tierschutzstandarts der EU bis zum Zielort eingehalten werden-oder der Transport muss untersagt werden.