(erschienen im Nov.2003 in Rosige Zeiten Oldenburg)
Der jüngst von Karo und Unicef vorgelegte Bericht weist auf ein seit Jahren bekanntes und zunehmendes Problem hin, Prostitution von Minderjährigen in der Tschechischen Republik. Freier sind demnach zumeist deutsche Touristen. Bereits seit 1994 gibt es Erkenntnisse, die dieses Bild stützen. Der 1994 erschienene tschechisch-französische Dokumentarfilm „Not angels but angels“ und der Film „Mandragora“ beschreiben die Situation jugendlicher Prostituierter in der tschechischen Hauptstadt Prag. Von Seiten der tschechischen Regierung wurden sofort nach Vorlage des Berichtes die getroffenen Aussagen dementiert. Es gäbe nur vereinzelte Fälle von Prostitution von Kindern und Jugendlichen, die mit der notwendigen Härte des Gesetze verfolgt würden.
In der Euroregion Ergensis ist Prostitution mittlerweile zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige geworden. Allein in der Stadt Cheb mit 36000 Einwohnern gibt es 98 Nachtklubs, hinzu kommen Bars und Tankstellen, die ebenfalls für das Geschäft mit zumeist deutschen Sextouristen herhalten. Prostitution ist normale Erwerbsarbeit. Dies gilt allerdings nur, so lange sie selbstbestimmt erfolgen kann, was bei Minderjährigen nicht der Fall ist. Auch erwachsene Prostituierte werden häufig durch finanzielle Notlagen und Abhängigkeitsverhältnisse in Prostitution getrieben und gehalten. Ein Phänomen, dass auch aus der Bundesrepublik Deutschland bekannt ist. Vor dem Hintergrund des wichtigen legalen Wirtschaftszweiges Prostitution ist die Reaktion der tschechischen Regierung verständlich. Kinderprostitution und Frauenhandel passen hier nicht rein.
Die Zahlen zur Prostitution von Kindern und Jugendlichen divergieren stark. Das Projekt Karo spricht von einigen tausend Prostitutionskontakten mit Minderjährigen. Folgt man den Schätzungen von Kleiber und Wilke, kommt es jährlich zu mindestens 2400 bis 4800 Fällen. Demgegenüber ist die Zahl der angezeigten Delikte verschwindend gering. Laut dem Bundesjustizministerium gibt es im Zeitraum 1993 bis 1998 in der Bundesrepublik Deutschland 51 Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs ausländischer Kinder durch Deutsche im Ausland. Tatortländer sind u.a. Thailand, die Tschechische Republik, die Philippinen und Sri Lanka. Die Ermittlungsverfahren betrafen 59 Beschuldigte und 148 geschädigte Personen.
Die Situation ist auch im sächsische Staatsministerium und im sächsichen Landtag seit Jahren bekannt. Landtagsabgeordnete der PDS beteiligten sich mehrmals im Jahr an der Streetwork von Karo und können die Angaben nur bestätigen. Auch das Europäische Parlament ist lange informiert. Am 29.02.2000 erklärte es: „Das Europäische Parlament ist zutiefst besorgt, daß in der Europäischen Union und in den beitrittswilligen Ländern Prozesse in Verbindung mit den extremsten Erscheinungsformen der Pädophilie, bei den Kinder umgebracht werden, äußerst schleppend von statten gehen, daß Verfahren bisweilen auf besorgniserregende Weise zum Stillstand kommen, unerklärliche Verletzungen von Richtern und Polizeibediensteten stattfinden, Zeugen verleumdet werden, Personen eingeschüchtert werden, falsche Fährten gelegt werden, Stillschweigen gewahrt wird bzw. von den Medien tendenziöse Informationen verbreitet werden.“
Die Arbeitsgemeinschaft queer bei der PDS Sachsen hat in einer jüngst erschienenen Pressemitteilung die tschechische Regierung und die sächsische Landesregierung aufgefordert, Prostitution von Kindern und Jugendlichen als Problem wahrzunehmen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um diesem zu begegnen. Dabei kommt es nach Meinung der queeren Arbeitsgemeinschaft nicht auf einen großen Polizeiapparat an, sondern auf einen Ausbau der Jugend- und Beratungsstrukturen. Da wo Opfern von Gewalt und sexueller Gewalt schnell geholfen wird, werden dauerhafte physische und psychische Schädigungen des Opfers vermieden, die Dunkelziffer an Gewalttaten verringert und weiteren Gewalttaten durch eine hohe Aufklärungsrate vorgebeugt. Derzeit existierende Projekte auf deutscher und tschechischer Seite müssen zu diesem Zweck unbedingt Bestand haben, ausgebaut werden und durch eine bessere Vernetzung größere Wirksamkeit entfalten.
Außerdem wird die sächsische Landesregierung aufgefordert, sich für eine liberale Asylpolitik einzusetzen, die es MigrantInnen ermöglicht, in der Bundesrepublik Deutschland zu leben und zu arbeiten. Damit wird vermieden, dass Menschen durch finanzielle Notlagen gezwungen sind, Zwangs- und Abhängigkeitsverhältnisse einzugehen. Aus Angst vor Abschiebung getrauen sich viele MigrantInnen nicht, erzwungene Prostitution oder andere Ausbeutungsverhältnisse (bspw. als häufig unter- oder unbezahlte Arbeitskräfte auf Baustellen) anzuzeigen.
Bleibt zu hoffen, dass die derzeit laufende Kampagne gegen Karo nicht zum Ende des Projektes führt.
Heinz-Jürgen Voß