erschienen im Friedensforum 02/2018
Der folgende Beitrag skizziert Verbindungslinien zwischen Militär und Geschlecht, wie sie insbesondere in der feministischen Friedens- und Konfliktforschung, in der Genderforschung und in Postcolonial Studies analysiert wurden. Dabei werfe ich zunächst einen Blick auf die bürgerliche Geschlechterordnung und ihre Rollenzuweisungen an Männer und Frauen. Im Anschluss daran fokussiere ich die Bedeutung der Geschlechterbetrachtungen im Hinblick auf das Militärische. Schließlich zeige ich auf, dass die Öffnung von Armeen für Frauen keine Abkehr von den männlich belegten Attributen des Militärischen ist. Deutlich wird im Beitrag, dass „Gender“ kein „Frauenthema“ ist.
Militär vor dem Hintergrund der bürgerlichen Gesellschafts- und Geschlechterordnung
Schon Bertha von Suttner verband die Friedensfrage explizit mit der Frage nach der Emanzipation der Frauen. Klassische Geschlechtermythen lehnte sie ab, so auch den, dass Frauen von ‚Natur‘ aus friedfertiger seien, Männer hingegen kriegerischer. Heute – über 100 Jahre nach Suttners Wirken – scheint die Debatte nicht wesentlich weiter zu sein. „Gender“ wird als „Frau“ gelesen, „Gender im Militär“ wird in der populären und politischen Verwendung gerade so vorgebracht, dass die Rolle von Frauen im Militär gemeint sei. Dabei geht es um wesentlich mehr, will man die politische Bedeutung von „Gender“ erfassen und für die Friedensarbeit nutzbar machen. Das Bild von der „friedfertigen Frau“ und dem „kriegerische Mann“ entstand auf Basis der bürgerlichen Geschlechterordnung. Je nach Sichtweise kann man den Ausgangspunkt für diese „moderne“, bürgerliche Entwicklung ab dem beginnenden 16. oder 18. Jahrhundert ansetzen. Erst mit der Moderne wurde das patriarchalische Geschlechterverhältnis richtig funktional. May Ayim, eine wichtige Protagonistin der Schwarzen deutschen Frauenbewegung, bringt die Veränderungen auf den Punkt:
„Auch wenn die Familie bereits im Mittelalter patriarchalisch gegliedert war und dem Mann als Hausvorstand rechtliche und soziale Privilegien einräumte, bildeten sich erst mit den veränderten Produktionsbedingungen wirtschaftliche und ideologische Strukturen, die nichterwerbstätige Frauen in die ökonomische und emotionale Abhängigkeit von Männern drängten. Mit der Trennung in Privatsphäre und außerhäusliche Produktion kam der – von der beruflichen und politischen Lebenswelt ausgeschlossenen – Bürgersfrau die Rolle der treusorgenden Gattin, Hausfrau und Mutter zu. Diese Entmachtung wurde verklärt und idealisiert, wobei im 18. Jahrhundert die Mehrzahl der deutschen Frauen dem neuen Frauenideal nicht entsprechen konnte, weil sie in Manufakturen und Fabriken Schwerstarbeit leistete.“ (May Ayim, mit Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz (Hrsg.)(1997): Farbe Bekennen. Berlin, S. 25)
Das bürgerliche „Ideal“ prägte (und prägt) die moderne Gesellschaft – als „weiblich“ zugeschriebene gesellschaftliche Sphären wurden entwertet, dem privaten Bereich zugewiesen und sind bis heute nicht oder nur schlecht entlohnt. Als „männlich“ betrachtete gesellschaftliche Sphären – in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und den oberen Rängen des Militärs – wurden hingegen aufgewertet, mit Prestige und gutem Einkommen ausgestattet. Dieses seit dem 16. Jahrhundert neu aufgekommene Geschlechterideal wurde naturalisiert, so dass noch heute einige meinen, das Bild der „friedfertigen Frau“ und des „kriegerischen Mannes“ in „den Genen“ finden oder bis in die Urzeit zurückverfolgen zu können.
Praktisch ist das Bild des „kriegerischen Mannes“ also mit der bürgerlichen Geschlechterordnung verwoben. Es steht zudem im Zusammenhang mit der Entwicklung moderner Heere seit dem 18. und 19. Jahrhundert. Insbesondere die Entwicklung von Wehrpflichtarmeen und der damit verbundene Umbau von abgegrenzten Söldnertruppen und stehenden Heeren zu Wehrpflichtarmeen, die plötzlich die eine Hälfte der Bevölkerung direkt, die andere indirekt betreffen, prägen das Bild von Männlichkeit und Militär bis heute. Militär galt (und gilt) als Schule, den „Jüngling zum Manne zu machen“.
Damit erscheint die Öffnung der Armeen für Frauen paradox. Wir werden aber im Folgenden sehen, dass das keineswegs so ist. Vielmehr werden mit Männlichkeit verbundene Attribute im Militär weiterhin erhalten – sie sind nicht weiter zwingend an ein Geschlecht gebunden. Es ist für die Analyse sehr hilfreich Männlichkeitskonstrukte aufzuzeigen und zu hinterfragen, sprich, die Genderbrille aufzusetzen. Auf diesem Weg lassen sich Kameradschaft, Machtstrukturen und das Prinzip von Befehl und Gehorsam dekonstruieren und damit effektiv hinterfragen. Frauen erschüttern das Bild vom Männlichkeit nicht, vielmehr passen sie sich ein. In dominanten Männerstrukturen werden Frauen als Minderheiten wahrgenommen und entsprechend behandelt. In der Studie „Truppenbild ohne Dame“ (2014) des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr konstatieren 56,6% der befragten Männer, dass sich die Bundeswehr durch die Öffnung für Frauen zum Schlechteren ändern würde.
Aber nicht nur auf einer strukturellen Ebene ist der Genderblick wichtig. Für die Debatte um Kriegsursachen und eventuelle Ansätze (friedlicher) Kofliktlösung ist der Blick auf die Geschlechterrollen, die sich in Krisensituationen darstellen, bedeutsam. Für Männer ist die Rolle klar – das bürgerliche „Heldenepos“ habe ich gerade kurz skizziert. „FrauenundKinder“ werden demgegenüber zusammengedacht und als besonders verletzlich und gefährdet, als Opfer gesehen, die heldisch vom Manne verteidigt werden müssten und/oder wegen denen Krieg geführt wird. Damit wird militärisches Eingreifen legitimiert, der Gegner als Vergewaltiger und Brandschatzer wird dämonisiert. Letzteres gilt insbesondere für die kämpfenden Männer des Gegners, im Gegensatz zu den eigenen Männern, die als „ehrenvoll kämpfend“ stilisiert und bei denen die entsprechenden Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen entweder verschwiegen, oder als alternativlos und bedauerlich eingestuft werden. Es wird damit in der eigenen Bevölkerung eine Aggression gegen die „Anderen“ angestachelt. Frauen wird der Status als handelnde Subjekte genommen, sie sind damit nicht nur Teil der Begründung militärischer Gewalt, sondern es wird ihnen damit auch das Recht abgesprochen, aktiv an der Entwicklung einer Friedenslösung beteiligt zu sein. Erfahrungen aus Konflikten, u.a. aus Initiativen und Aktionsplänen, die sich im Anschluss an die UN Resolution 1325 (Frauen, Frieden und Sicherheit) entwickelten, belegen, dass die gleichberechtigte Teilnahme aller Beteiligten – gerade auch von Männern und Frauen – zu besseren Ergebnissen führt, als wenn nur elitäre gesellschaftliche Kreise eingebunden werden und entscheiden.
Die Bilder „starker Mann“ vs. „zu beschützende Frau“ greifen nicht nur zu kurz, sondern sie ignorieren die realen Verhältnisse, in denen Männer ebenso Opfer und Frauen TäterInnen sein können – zum Beispiel im Hinblick auf sexualisierte Gewalt. Neben Männern geraten inzwischen auch Frauen als Täter*innen in Bezug auf sexualisierte Gewalt in Konflikten in den Blick. Eingeschrieben hat sich in unser Gedächtnis etwa das Bild einer US-Soldatin, die im irakischen Gefängnis Abu Ghraib einen männlichen Gefangenen sexuell malträtierte. Machtgefälle, Erniedrigung kommen hier zusammen. Gezielt wird sexualisierte Gewalt als Machtmittel verwendet. Susann Brownmiller hat 1980 als eine der ersten das Konzept dahinter – hier für Männer als Täter – beschrieben:
„Vergewaltigung durch erobernde Soldaten zerstört bei den Männern der unterlegenen Seite alle verbliebenen Illusionen von Macht und Besitz. Der Körper der geschändeten Frau wird zum zeremoniellen Schlachtfeld, zum Platz für die Siegesparade des Überlegenen. Und die Tat, die an der Frau verübt wird, ist eine Botschaft unter Männern – deutlicher Siegesbeweis für den einen, Dokument der Niederlage für den anderen.“ (Brownmiller, Gegen unseren Willen 1980)
Argumentationsfiguren zur Legitimierung des Militärischen und von Krieg
Zur Legitimierung von Krieg werden (im Übrigen nicht erst seit kurzem) Frauen- und, ganz allgemein, Menschenrechte sowie neuerdings auch die Rechte von Homosexuellen angeführt. Das ist aus mehrfacher Hinsicht problematisch, insbesondere dann, wenn die Forderung von den gleichen PolitikerInnen kommen, denen Fragen der Gleichberechtigung und der Diversität eher ein Dorn im Auge sind. Das Konzept dahinter nennt sich im Hinblick auf die Aneignung von Argumenten der Frauenemanzipation zur Rechtfertigung von staatlicher militärischer Intervention „embedded feminism“ bzw. „Femonationalismus“. Mit beiden Begriffen wird die Indienststellung westlicher Frauenrechtsdiskurse für imperiale Praktiken bezeichnet. Die Herrschenden nutzen also Argumente des Feminismus, um militärisches Handeln zu legitimieren – es gehe darum, Schwarze Frauen vor den Schwarzen Männern zu „retten“. Diese Argumentationsfigur wurde bereits zur Rechtfertigung des deutschen Kolonialismus verwendet – schon damals argumentierten Regierende, aber auch Aktivistinnen der bürgerlichen Frauenbewegung, dass „die schwarzen Frauen“ gerettet werden müssten, vor „dem schwarzen Mann“; die „Rettung“ müsse durch die „zivilisierten“ weißen Frauen und Männer erfolgen.
Analog zur Indienstnahme von auf Frauenemanzipation zielenden Argumentationen werden mittlerweile auch „Homorechte“ für die Durchsetzung militärischer Interventionen instrumentalisiert. Das wird als „Homonationalismus“ bezeichnet. Hierbei werden die Errungenschaften der lesbischen, schwulen und trans* Bewegung als Aushängeschild genutzt, um „das Andere/Fremde“ hinabzusetzen und einen Krieg zu legitimieren. Homo- und Femonationalismus sind Elemente einer Dominanzkultur, die sich gegen „die Anderen“ richtet – gegenwärtige insbesondere gegen MuslimInnen. Die Indienstnahme von Geschlechter- und sexuellen Verhältnissen zur Rechtfertigung von militärischen Interventionen werden als hegemoniale Praktiken des Globalen Nordens (also „des Westens“) gegenüber dem Süden immer offenkundiger.
Ein Beispiel: Im Rahmen der Rechtfertigung des Krieges gegen Afghanistan wurde es etwa durch deutsche PolitikerInnen wie Horst Seehofer als notwendig beschrieben, die afghanischen Frauen vor den afghanischen Männern zu retten. Afghanistan und insbesondere die Taliban wurden als patriarchalische Gesellschaft gezeichnet – in Abgrenzung zur „emanzipatorischen“ deutschen Gesellschaft. Verschärfend wurden diese so definierten Zustände pauschal „dem Islam“ zugeschrieben. (Diese Zuschreibung entspricht in den heute geführten Debatten dem kaum mehr hinterfragten Mainstream.) Die daraus entstehende Konstruktion ist offenkundig: auf der einen Seite das erhöhte, aufgeklärte deutsche christlich-säkulare Subjekt, auf der anderen Seite das zu zivilisierende islamische Objekt. Dass in diesem Umfeld Konflikte nicht gelöst werden können, versteht sich von selbst.
Eine relativ neue Thematik ist die Indienstnahme von Diversität zur Werbung für das Militär. Ist diese Annahme eigentlich ein Widerspruch in sich, lebt doch Militär insbesondere von dem Prinzip Befehl und Gehorsam und einer ihm innewohnenden Uniformität, so drückt die Werbung das Gegenteil aus. Der Anteil an Frauen in der Werbung konkret der Bundeswehr und die Hervorhebung, dass die Bundeswehr offen für LSBTI* (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter*) sei, steht im klaren Widerspruch zum konkreten Handeln, wie beispielsweise die Studien „Truppenbild mit Dame“ (2011) und „Truppenbild ohne Dame“ (2014) des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr zeigen. Das Ziel hinter den Kampagnen ist klar. Indem sich die Bundeswehr als „familienfreundliche Arbeitgeberin“ und als „moderner, diversitätsoffener Betrieb“ wie jeder andere auch darstellt, wird der Eindruck erweckt, SoldatIn zu sein, sei ein Beruf, wie jeder andere auch. Es werden neue Zielgruppen angesprochen, die dringend nötig für eine technologieorientierte Einsatzführung sind. Dass parallel dazu auf klassische männliche Bilder gesetzt wird, wie Technikbegeisterung und die eingangs diskutierten Kameradschaftsbilder, ist dabei offenbar kein Widerspruch. Die Friedensbewegung hat hierauf noch nicht ausreichend reagiert. Das Ignorieren dieses Diversitätskonzeptes in den Analysen der Friedensbewegung hat Folgen. So richtete und richtet sich beispielsweise innerhalb der Friedensbewegung – in weitgehender Ignoranz dieser Veränderungen – Antirekrutierungsarbeit immer noch fast ausschließlich an junge Männer, Frauen werden bestenfalls „mitgedacht“.
Abschluss
Das sind nur einige Punkte, die auffallen, wird Krieg und Militär mit einer geschlechtersensiblen Brille betrachtet. Weitere wichtige Punkte wären (a) die unterschiedliche Betroffenheit (erwartete und tatsächliche) der Geschlechter von Krieg und seinen Folgen, (b) AkteurInnen und ihre Ziele in Kriegen, (c) die praktische Rolle von Frauen im Militär und (d) die Unsichtbarkeit der Opfer. Aber auch das Gendering von Kriegsdarstellungen, beispielsweise im Film, wäre zu thematisieren. Wann hat man zuletzt eine verwundete Soldatin gesehen, sei es im Film oder in der Berichterstattung? Warum ist das so?
Mit der Genderbrille betrachtet, diskutieren wir plötzlich über ein militarisiertes männliches Identitätskonstrukt, das sich zu dekonstruieren lohnt. Wir reden über die Indienstnahme von Geschlechterkonstrukten zur Legitimierung militärischer Intervention und über sexuelle Gewalt als Machtmittel. Gender ist mitnichten ein „Frauenthema“, sondern essentieller Anteil einer zukunftsgewandten Friedensanalyse und ziviler Konfliktlösung. Hier ist die Friedensbewegung gefordert, sowohl analytisch, als auch in praktischen Aktionsformen.