von Heinz-Jürgen Voß (zuerst erschienen in Rosige Zeiten, Oldenburg)
Die Entscheidung, im Todesfall Organe zu ‚spenden‘, ist ohnehin schwierig. Auch Angehörige, die in der entsprechenden Situation des ‚Hirntods‘ eines nahen Menschen sich zur Frage der Organentnahme äußern sollen, sind in einer psychisch angespannten Situation. Problematisch ist es, wenn dann auch noch Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung hinzukommt.
Problemaufriss
In Bezug auf die Bluttransfusion ist problematisiert, dass Schwule in Deutschland – anders als etwa in Italien – von der Blutspende ausgeschlossen sind. Schwule werden in der Bundesrepublik Deutschland zusammenaddiert, als ‚Risikogruppe‘ betrachtete und sind per se nicht zur Blutspende zugelassen. Das geschieht durchaus – und erfreulich – ‚ohne Erfolg‘. So zeigte Anja Preuss in ihrer wegweisenden Arbeit Zum Ausschluss schwuler Männer von der Blutspende unter anderem: „Die überwiegende Mehrheit schwuler Männer ließ und lässt sich nicht vom Blutspenden abhalten. Vielmehr entscheiden sie sich vor dem Hintergrund des Ausschlusskriteriums selbstbestimmt für oder gegen eine Blutspende – entgegen der Intention des Gesetzgebers.“ (Ein knapper und guter Übersichtsartikel zu Schwul und Blutspende findet sich hier: http://forum-recht-online.de/wp/wp-content/uploads/2012/04/FoR1101_024_waldschuetz.pdf .)
Von der Organtransplantation – Entnahme – (Organtransplantation: hier im Sinne der populären Verwendung, also etwa in Bezug auf Herz, Nieren etc.) sind Schwule nicht grundsätzlich ausgeschlossen, zu knapp ist das ‚Gut‘ der Organe – dafür betrifft die Regelung auch Lesben. Im Fragebogen der verantwortlichen Institution – Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) –, der sich an die_den potenzielle_n Spender_in bzw. an die Angehörigen richtet, wird der „Umgang im homosexuellen Milieu“ erfragt. Wird ein solcher Umgang angegeben, schließen sich ‚sicherere Tests‘ bzgl. HIV an, die direkt die Erbsubstanz (RNA) der Viren vervielfältigen und nachweisen. Ohne die Angabe „homosexuelles Milieu“ werden bei allen Spender_innen einfachere Tests genutzt (die auf Antigen-Antikörper-Reaktionen beruhen). Selbstverständlich ist schon allein der Milieu-Begriff kritisch zu sehen, da er gerade mit der kriminalistischen Verfolgung von Schwulen durch den §175 eng verbunden ist. Es reicht aber nicht aus, ihn einfach zu ersetzen, wie es ein Artikel bei Queer.de nahelegte, sondern die Kritik muss sich grundlegend gegen die Stigmatisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen richten. Schon allein dadurch, dass „homosexuelle“ Handlungen im Fragebogen besonders diskutiert werden – und nicht etwa allgemein über sexuelle Handlungen gesprochen wird – wird gleichgeschlechtlicher Sex als problematisch ins Scheinwerferlicht gerückt.
Anders als es die DSO beabsichtigt, werden auf diese Weise ‚potenzielle Spender_innen‘ davon abgehalten, ihre Bereitschaft zur Organentnahme zu erklären – sofern sie sich durch eine solche Frage diskriminiert fühlen. Für die Angehörigen wird eine Lage hergestellt, in der sie, in einer ohnehin extrem schwierigen Situation, in der sie sich mit der Frage der Organentnahme bei der_dem ‚verstorbenen‘ (gehirntoten) nahen Menschen bzw. deren_dessen Entscheidung dafür auseinandersetzen müssen, auch noch mit einer für viele Menschen intimen Nachfrage konfrontiert werden. Eine Auseinandersetzung in der Familie bzgl. der Homosexualität einer Person, mit der nicht alle in der Familie einverstanden waren, könnte erneut aufflackern – negative Haltungen gegenüber dem Toten befördern und das friedliche Abschiednehmen erschweren. Eine ohnehin extrem schwierige Situation für die Angehörigen wird damit weiter verkompliziert.
Zudem erscheint es plausibel, dass wie bei der Blutspende, die befragten Personen selbstbewusst entscheiden, was sie angeben. Insofern weiß die DSO nicht, ob tatsächlich das entsprechende Verhalten angegeben wurde – also ob der_die Spender_in es offengelegt hat bzw. die Angehörigen es anführen oder Letztere überhaupt darüber Bescheid wissen. Zahlreiche der gleichgeschlechtlichen sexuellen Kontakte werden noch immer – auch durch gesellschaftliche Stigmatisierung – ohne Kenntnis der (weiteren) Familie und Angehörigen gesucht. Letztlich ‚erwischt‘ die DSO mit der Befragung diejenigen, die ihren gleichgeschlechtlichen sexuellen Verkehr offen leben bzw. sogar nur die, die ihre sexuellen Erlebnisse Onkeln, Tanten, Eltern und Geschwistern offen präsentieren. Und selbst von diesen erreichen Sie dann nur diejenigen, die sich an der im Fragebogen geforderten (Selbst-)Stigmatisierung beteiligen. Das Ziel der DSO, Homosexuelle zu ‚identifizieren‘, und genauer zu untersuchen, wird so nicht erreicht – ich halte schon dieses Ziel für hoch problematisch. Und: Da erst auf die Frage nach Homosexualität hin die sichersten Tests auf HI-Viren angeschlossen werden, erhöht sich durch dieses stigmatisierend-analysierende Vorgehen sogar das Risiko für die potenziellen Empfänger_innen von Organen in Bezug auf eine HIV-Infektion. Hingegen werden Menschen, die sich nicht stigmatisieren lassen wollen (bzw. ihre Angehörigen) dazu genötigt, in einer ohnehin schwierigen Situation, einen Teil der Persönlichkeit unerwähnt zu lassen oder zu verheimlichen.
Aus meiner Sicht könnte eine Anamnese in einer vertrauensvollen Umgebung, in der nicht pauschal und moralisierend bestimmte Verhaltensweisen als schwierig und besonders zu untersuchen herausgestellt werden und in der bewusst Diskriminierungen vermieden werden, eher für die Transplantation relevante Einflussfaktoren erheben. Gleichzeitig würden auf diese Weise negative Auswirkungen insbesondere auf die Angehörigen in einer ohnehin schwierigen Situation vermieden. Da es offenbar möglich ist und die entsprechenden Tests vorhanden sind, könnte und sollte in Bezug auf HIV immer die sicherste Testungsweise gewählt werden – der Direktnachweis viraler RNA. Entsprechend nicht-diskriminierend und auf dem aktuellen medizinisch-technischen Stand könnte Transplantation auch in der Bevölkerung an Akzeptanz gewinnen.
Dieser Artikel diskutierte nur diesen einen Aspekt in Bezug auf Organtransplantation. Selbstverständlich sind mit ihr einige medizinethische Fragen verbunden. Neben der Frage ob es sich um einen ‚schwer gehirnkranken Menschen‘ oder einen ‚gehirntoten Menschen handelt‘ und welche Maßnahmen legitim sind, um diesen Zustand zu testen (etwa Methoden zum Nachweis tiefer Bewusstlosigkeit und des Ausfalls der Spontanatmung), ergeben sich zahlreiche weitere, die etwa das Abschiednehmen durch nahe Personen betreffen. In jedem Fall ist die aktuelle Rede von ‚Organmangel‘ eine normative Setzung. Es wird damit die Wertung nahegelegt, dass ein Mensch an einem ‚nicht zur Verfügung gestellten Organ‘ stirbt und nicht etwa an der zu Grunde liegenden Erkrankung. Damit wird ein Druck erzeugt, sich zur Organspende bereitzuerklären, ggf. auch gegen die eigene Präferenz. In diesem Sinn ist gute und offene Aufklärung und beraterische Begleitung einer solchen Entscheidung wünschenswert.