Das Fleischimperium wurde erstmal für 14 Tage geschlossen.
ein Gastbeitrag von Dirk Hogess
Infektionsherd NRW
Das Fleischimperium wurde erst einmal für 14 Tage geschlossen. Tausende osteuropäische Billigarbeitskräfte malochen dort in Akkordarbeit und stehen jetzt eingepfercht hinter Gittern im Quartier unter Kohorten-Quarantänisierung.
Schalke-Anhänger in Rage fordern den Tönnies-Rücktritt
Am Dienstag hingen an mehreren Orten in Gelsenkirchen Protestplakate gegen den Fleischfabrikanten. In einer Stellungnahme bezeichneten die Ultras die gesamte Saison als „moralische Bankrotterklärung“.
Die Causa Tönnies nimmt immer größere Züge an. Fleisch und Spiele und ein Persilschein von der Politik. Der Verein Schalke 04 befindet sich auf einer sportlichen Talfahrt, und nicht nur das, denn das Sportliche ist schon längst in den Hintergrund geraten. Der Unmut richtet sich auch gegen andere S04-Bosse. Grottenschlecht: Seit 15 Spielen sieglose Mannschaft, die in der Rückrunde wie ein seelenloser Absteiger gekickt hat. Reichlich Diskussions- und Zündstoff beim Traditionsverein wegen der Amtsführung von Tönnies.
Fanorganisationen von FC Schalke 04 gehen auf die Barrikaden und wollen am Sonnabend, dem letzten Bundesligaspieltag, um 15.30-17.15 Uhr auf dem Vereinsgelände Berger Feld mit einer Menschenkette gegen die Missstände bei S04 protestieren. Das markige Motto lautet „ Schalke ist kein Schlachthof! Gegen die Zerlegung unseres Vereins“. Und weiter: „Wir wollen ein friedliches Zeichen der Solidarität mit den Mitarbeitern des Vereins, für die Einhaltung unseres Leitbildes, gegen Rassismus und Ausgrenzung sowie für die Mitbestimmung der Fans setzen.“ Auch die Ultras nehmen mit einem Brandbrief auf ihrer Homepage-Stellung: „Ausverkauf der Schalker Werte … die zu Marketingzwecken zwar gern benutzt, ansonsten aber mit Füßen getreten werden“, heißt es darin. Im Visier steht der milliardenschwere Fleisch-Patriarch und S04-Vorstandsboss Clemens Tönnies mit seinem ausbeuterischen System, der seit den 1990er Jahren im Vorstand bei den „Knappen“ und seit 2001 Aufsichtsratsvorsitzender ist. Clemens Tönnies, der zu den Schalker Großsponsoren zählt, sieht sich auch seit seinen Rassismusskandal am Anfang der Saison heftiger Kritik ausgesetzt.
Schweinerei beim Exportschlager Fleisch
Tönnies hatte klein angefangen und wuchs rasant. Die Tönnies-Werke sind bundesweit auf mehrere Standorte verteilt. Allein am ostwestfälischen Stammsitz des Familienunternehmens in Rheda-Wiedenbrück malochen 7.000 Menschen. Das zweitgrößte Werk mit 2.200 Beschäftigten befindet in Weißenfels.
Der Appetit auf Expansion wurde immer größer. Dabei ging die moralische Orientierung verloren. Tönnies entwickelte sich zum Marktführer und Europas größtem Schlachthof und verdient jetzt mit seinen Fleischfabriken Milliarden mit systemrelevantem Billigfleisch und Billiglöhnern in Akkordarbeit. Fleisch wurde zu Massenware. 55 Millionen Schweine werden in der Bundesrepublik jährlich geschlachtet.
Wiedereinführung des Lockdowns in Hotspots
Die Tönnies-Fabriken in Gütersloh und Rheda-Wiedenbrück gelten als massiven Corona-Ausbruchsorte. Die meisten der mehr als 1.500 Infizierten arbeiten und leben im Kreis Gütersloh. Der Verursacher Tönnies hat den nach dem Covid-19 Ausbruch erneut verordneten Lockdown in den Kreisen Gütersloh und Warendorf zu verantworten.
Das hat auch Auswirkungen auf die umliegenden Städte und Kreise. Die Menschen vor Ort können die Suppe auslöffeln. Betroffen sind rund 640.000 Einwohner. Es ist das erste Mal, dass Lockerungen für eine ganze Region wieder zurückgenommen werden.
Schlechte Arbeitsbedingungen
Nach mehreren massenhaften Corona-Ausbrüche fordert Rumäniens Botschafter bessere Arbeitsbedingungen beim Tönnies-Fleischfabrikanten. Die sonst eher unsichtbaren Menschen werden jetzt sichtbar. Das Werkvertragssystem mit Subunternehmen, die Wanderarbeiter aus Rumänien, Bulgarien und Polen in Kleinbussen zusammengepfercht zum Malochen transportieren, ist schon seit langem bekannt, auch die Ausbeutung sowie die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen.
Als Speerspitze im Kampf dagegen hat sich die Politik nicht gerade hervorgetan. Der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, potenzieller Kanzlerkandidat der Union, fischte am rechten Rand., hat sich in Rassismus-Verdacht gebracht – und damit scharfe Kritik provoziert. Laschet hatte vor laufenden Kameras am Mittwoch, 17.06.2020 auf die Frage, was der Corona-Ausbruch über die bisherigen Lockerungen aussage, geantwortet: „Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt. Das wird überall passieren.“ Im nächsten Satz verwies Laschet auf die Unterbringung und Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Aber erst danach erfolgten Laschets Klarstellungen.
Lüftungsanlage im Visier
Die Lüftung in den Fleischfabriken von Tönnies könnte das Problem sein und zur Masseninfektion geführt haben.
Der Bonner Hygiene-Prof. Martin Exner hat sich die Lage vor Ort angeschaut und am 24.06.20 eine erste Einschätzung gegeben. Demnach sei die Belüftungsanlage als „Risikofaktor“ bisher übersehen worden. Um neue Ausbrüche zu verhindern, empfiehlt Exner Hochleistungsfilter für die Lüftungsanlage.
Werkverträge
Unter der rot-grünen Bundesregierung wurden die Werkverträge eingeführt. Die drei Konzerne, die im Brennpunkt stehen – Tönnies, Westfleisch mit Sitz in Münster und PHW mit der Marke Wiesenhof (bei noch Bundesligist Werder Bremen langjähriger Brustsponsor) – kündigen an, künftig auf Werkverträge in maßgeblichen Bereichen zu verzichten. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gasstätten (NGG) bezeichnete die Pläne als „Nebelkerze.“
Geflügel vom Fließband
Auch eine Massen-Putenschlachterei hatte einen COVID-19-Ausbruch zu vermelden. Die betroffene Firma Geestland Putenspezialitäten (GPS) im niedersächsischen Wildeshausen (Landkreis Oldenburg) gehört zum Wiesenhof-Konzern. Wiesenhof wiederum ist Teil der PHW-Gruppe mit Sitz in Vaduz. Nach eigenen Angaben ist der Konzern der größte deutsche Geflügelzüchter.
Der Corona-Virus macht die Missstände unterm Brennglas sichtbar. Industrialisierte Schlacht- und Zerlegefabriken mit osteuropäischen Schlachtsklaven werden wie Vieh behandelt.
Grillzeit: Werden die Vereinsbosse im Revier gegrillt?
Mal ehrlich, wer denkt beim Fleischverzehr daran.
Fleisch schmeckt, hat aber oft den faden Beigeschmack von Tierqual und Ausbeutung.
Schalke-Anhang macht Ärger Luft mit zahlreiche Banner und Plakate in Gelsenkirchen
- An der Glückauf-Kampfbahn: „Keine Ausbeuter bei S04! Tönnies raus“
- Am Parkstadion: „Tönnies raus!“
- An einer Brücke: „Keine Rassisten auf Schalke! Tönnies raus“
- An der Geschäftsstelle: „Die einzigen Härtefälle sitzen in der Führungsetage unseres Vereins!“
- An einer Zufahrt zur Veltins-Arena: „Kein Kumpel, kein Malocher – Tönnies raus!“
- An der Straßenbahn-Haltestelle zum Stadion: „Tönnies raus!“
- An der Tausend-Freude-Mauer: „Leitbild leben – statt Werte schlachten!“
Nachtrag:
Bielefeld zieht Konsequenz Aufgrund der aktuellen Ereignisse. Bundesliga-Aufsteiger DSC Arminia Bielefeld beendet die Zusammenarbeit mit Clemens Tönnies. Der Werbevertrag werde zum Ende dieser Spielzeit auslaufen.