erschienen in Rosige zeiten Dezember 2014
Am 22.November demonstrierte in Hannover eine krude Schar verschiedener Gruppen gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und moderne Familien- und Gesellschaftsbilder.
Diese Demonstration reiht sich in eine Serie von Demonstrationen ein, mit der vornehmlich rechtspopulistische Kreise sich gegen pluralisierende Entwicklungen in der Gesellschaft wenden. Solche Versammlungen fanden u.a. in Stuttgart und Köln statt, zuletzt in Dresden und Hannover. Während in Dresden Linke und Bürgerlich-liberale Zivilgesellschaft mit einer Gegendemonstration erfolgreich die Demonstration verhindern konnten, wurde dieses Ziel in Hannover nicht erreicht.
Diese Demonstrationen – euphemistisch als „Demo(s) für alle“ tituliert – sind aber nur die Spitze des Eisberges. An verschiedenen Stellen melden sich so genannte „Männerrechtler“ und andere rechtspopulistisch Agierende zu Wort, um unter dem Deckmantel von Forderungen nach „Familienförderung und Kindererziehung“ sich gegen nicht der heterosexuellen Norm entsprechende Lebensweisen auszusprechen. Es ist Zeit, dass dem nicht mehr tatenlos zugesehen wird
Aber der Reihe nach: Die sogenannte „Demonstration für alle“ fordert vordergründig den Schutz von Familie und Ehe. Dabei definiert sie diese explizit heterosexuell. Sie lehnt in diesem Zusammenhang Lebensgemeinschaften mit Kindern ohne Vater und Mutter ab und propagiert ein Menschenbild, wie es seit den 60er Jahren obsolet geworden ist. Es geht ihnen nicht nur darum, das Adoptionsrecht für lesbische und schwule Paare zu verhindern, sondern die Errungenschaften queerer Selbstemanzipation zurückzudrehen. Eine vermeintlich klassische Ehe von Mann und Frau zur Erziehung von Kindern (die Initiator_innen nennen sie „natürlich“) soll nicht nur wieder zur allein akzeptierten Norm werden, es geht auch darum, alle davon abweichenden Lebensbilder zu stigmatisieren. Aufhänger dabei sind Bildungspläne verschiedener Bundesländer, etwa in BaWü und nun auch in Niedersachen, die verschiedene Lebensentwürfe gleichberechtigt im Unterricht diskutieren wollen, um Vorurteile und Ängste gar nicht erst entstehen zu lassen. Fächer übergreifende sexualpädagogische Inhalte sollen aber nicht „nur“ gegen Diskriminierung wirken, sondern auch Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt vorbeugen, indem Kinder und Jugendliche ihren Körper kennen und Grenzen benennen können. Seit der sexualisierten Gewalt an Internaten (und weiteren Einrichtungen) ist auch in der Politik klar geworden, dass Tabus – etwa die Tabuisierung von Homosexualität – ein „Kartell des Schweigens“ befördert und sexualisierte Gewalt begünstigt.
Hätten die aktuellen Proteste der Bildungsplan-Gegner_innen Erfolg, würde das Rad ein ganzes Stück zurück gedreht. Die Protagonist_innen der Proteste sind schnell ausgemacht: Beatrix von Storch, führendes Mitglied der AfD vertritt mehr oder weniger radikalisiert die Parteilinie; Gabriele Kuby, eine erzkonservative Autorin, vertritt das Forum deutscher Katholiken; außerdem tauchen mehrere evangelikale Organisationen in diesem Zusammenhang auf. Bei der Gruppe der so genannten „besorgten Eltern“ handelt es sich eher um besorgniserregende Eltern – einige von ihnen treten dafür ein, dass Kinder gezüchtigt werden dürfen. Auf jeden Fall planen sie ihre Veranstaltungen in Kooperation mit dem rechtspopulistischen Think-Tank „Compact-Magazin“ und dessen Macher, Jürgen Elsässer. Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass auch die NPD die Demonstrationen unterstützt und teilweise vor Ort ist.
Die Demonstrationen können somit als Teil klerikal konservativer und rechtspopulistischer Kräfte verstanden werden, die gegen alles kämpfen, was „anders“ ist, seien es Flüchtlinge, ihnen unbekannte Religionen oder eben Lesben und Schwule. In den letzten Jahren tobte sich diese Klientel überwiegend – und leider weitgehend ignoriert – in Foren, Kommentarspalten und bei Facebook aus. Lieblingsschlagworte wie „Homo-Lobby“, „Genderirsinn“, „Gener-Ideologie“ „rotgrünversifft“ dienen komplett inhaltsleer der Argumentation. Nachdem diese Form der Kommunikation und Auseinandersetzung durch das Trolling komplett an Bedeutung verloren hat und weitestgehend nur noch als Ärgernis und nicht mehr als Bereicherung empfunden wird, haben sie es jetzt auf die Straße geschafft, als PEGIDA, HogeSa oder eben als „Demo für alle“ wenden sie sich gegen die Errungenschaften einer liberalen Demokratie.
Aber nicht nur auf der Straße wird der Ton rauer, die Aktionen übergriffiger. Nachdem diese Klientel in den sozialen Medien weitgehend unwidersprochen Fuß fassen konnte, versucht sie – mit Erfolg – durch verbale Radikalisierung Aufmerksamkeit zu bekommen. Ein Katzenkrimiautor und neuerdings rechtspopulistischer Vorreiter beleidigte eine Sozialwissenschaftlerin schwer und erreichte damit die gewünschte mediale Aufmerksamkeit. Die Reaktionen im Netz schaukelten sich hoch und gipfelten in Vergewaltigungs- und Mordaufrufen. Beängstigend ist dabei, dass die Hass-Kommentare oft sogar unter Klarnamen von scheinbar ganz normalen Bürgern aus der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft kamen. Erfolgt Widerspruch gegen den Hass, wird dies mit ebenso gehässigen und beleidigenden Kommentaren erwidert. Immerhin wurde der besagte Krimi-Autor nach zivilrechtlichem Verfahren (von Heinz-Jürgen Voß, der_dem ROZ-Autor_in Heinzi) per gerichtlicher Einstweiliger Verfügung zur Unterlassung seiner Schmähungen verurteilt.
Der Widerstand gegen die rechten und rechtskonservativen Angriffe und Demonstrationen kommt nur langsam ins Rollen. Vielmehr scheint die Gegenwehr erstarrt. Eine politische lesbisch-schwule, queere Szene muss sich erst langsam sammeln. Die lesbischwule Szene hatte sich die letzten Jahre gemütlich eingerichtet, irgendwo zwischen Online-Dating-Plattform und trautem Heim. Politische Artikulation beschränkte sich auf die zur steifen Tradition gewordenen Christopher-Street-Day-Paraden. Selbst diese wurden seltsam unpolitisch, verzichteten teilweise ganz auf politische Forderungen, wie in Hannover 2014. Kritik daran wurde bestenfalls als Nestbeschmutzung wahrgenommen.
Hier muss dringend ein Umdenken passieren, wollen wir nicht in einen Strudel aus Verteidigung und Rechtfertigung für „unsere Rechte“ kommen, immer wieder vor Augen, dass diese beschnitten werden könnten. Homophobie hat längst wieder das bürgerliche Feuilleton erreicht. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung darf (wie am 23.11. geschehen) Schwule mehr oder minder mit Pädophilen gleichsetzen, die Akademie Waldschlößchen in dem Zusammenhang zu einem Ort der propagierten Pädophilie machen. Ebenjener Katzenkrimiautor auf rechtspopulistischen Wegen kann weitgehend unwidersprochen seine kruden Thesen öffentlich-rechtlich weiterverbreiten, so geschehen im Rahmen einer sogenannten (Anti-)Toleranzwoche in der ARD, bei der außer allen möglichen intoleranten Spießer_innen kaum jemand zu Wort kam.
Was jetzt gefragt ist, ist offene Solidarität und Aufstehen gegen die rückwärtsgewandten, rechten und rechtskonservativen Kreise. Nicht erst beim CSD, sondern hier und heute und auf allen Ebenen. Dieses Streiten darf aber nicht wieder allein bei lesbisch-schwulen Themen stehen bleiben (und sich vielleicht queer nennen). Vielmehr geht es um Streiten gegen Intoleranz, gegen Rassismus und gegen Sexismus. Toleranz und Akzeptanz muss breit gedacht werden – sonst findet sie nicht statt. Auf diese Weise entstehen Koalitionen gegen rechts! In dem Sinne ist es auch ein gutes Zeichen, wenn die Aidshilfe ihre Anzeigen in der Zeitschrift „Männer“ zurückzieht, da mit dem Theologen David Berger ein Chefredakteur agiert, der offen Anschluss an homofeindliche und rechtspopulistische Positionen vertritt. Eine Auseinandersetzung auch in der Szene ist unabdingbar.