Sonntag. Tatortzeit. Für den 20.März wurde mal wieder ein Tabubruch angekündigt. Es sollte um Homosexualität im Fußball gehen, nicht irgendwo sondern in der ersten Liga, genauer gesagt in Hannover (wobei die Macher_innen inkonsequent bemüht schienen, nicht den Erstligisten Hannover 96 meinen zu wollen, in dessen Stadion gedreht wurde). Der beste Freund des Spielers Ben Nenbrook wird erschlagen aufgefunden. Im Laufe des Filmes outet sich Nenbrook als schwul. Weitere Themen die gleich mit behandelt wurden, waren Hooligans und unsaubere Tricks eines Spielervermittlers. Letzteres war dann auch der Grund für den Mord. Damit könnte man das Thema auch schon wieder schließen. Aufgrund der vielen Handlungsstränge zeigte sich der Tatort als bemerkenswert wenig tiefgängig. Das äußere Outing wurde zur hauptsächlichen Nebensache. Wenigstens war der schwule Fußballer nicht wieder das Opfer. Klischees gab es auch zu Hauf. Pädagogisch wertvoll wurde der vor Ort ermittelnde Beamte (selbstverständlich Hannover-Fan) mit all seinen Vorurteilen gezeigt („Wir sind doch nicht Hannover 69“). Positiv bleibt festzuhalten, dass das Ende bewusst offen gelassen wurde, auch wenn eine positive Grundstimmung dargestellt werden sollte. Soweit konnte man diesen Tatort als eher schlecht gemachten, aber gut gemeinten Versuch abtun.
Der eigentliche Skandal, welcher nicht skandalisiert wurde, kam aber hinterher. Oliver Bierhoff, Teammanager des DFB und damit verantwortlich für die deutschen Männerfußballnationalmannschaft (und aufgrund seines Auftretens – Klischee!) auch gerne mal der Homosexualität verdächtigt, empörte sich in der Bild über den Tatort: „Ich finde es schade und ärgerlich, dass die Prominenz der Nationalelf missbraucht wird, um irgendein Thema zu entwickeln oder einen Scherz zu machen. Der Satz im Tatort hat ja keine inhaltliche Relevanz“ Mit dieser Aussage spielt Bierhoff auf eine Szene an, in der der sich später outende Ben Nenbrook, gegen Vorverurteilung und Gerüchte wehrt, als er gefragt wird, ob er schwul sei, da es darüber Gerüchte gäbe: „Wissen Sie, die halbe Nationalmannschaft ist angeblich schwul, einschließlich Trainerstab. Das ist doch schon so eine Art Volkssport, das zu verbreiten.“ Bierhoff beschreibt die Szene als Angriff auf „meine Familie – die Familie der Nationalmannschaft“, was ihn ärgern würde. Hinterher kommt dann gleich als Drohung, darüber nachzudenken, „wie wir mit solchen Dingen umgehen.“ Und er stellt fest, „dass wir nicht wehrlos sind gegen Gerüchte und falsche Unterstellungen aller Art“. Nur zur Klarstellung: Der Teammanager des DFB droht mit Klage, falls jemand ihm oder einem anderen Mitglied seiner „Familie“ unterstellt, schwul zu sein – was im Tatort nicht einmal angedeutet wird. Es reicht offensichtlich schon die alleinige Erwähnung der „Nationalmannschaft“.
Diese Einstellung homophob zu nennen, ist dabei nicht untertrieben, unterstellt Bierhoff doch implizit, dass das Gerücht schwul zu sein, eine Abwertung darstelle; niemand käme auf die Idee, jemanden zu verklagen, weil Heterosexualität vorausgesetzt wird. Der Verband der lesbisch-schwulen Fanclubs Netzwerk „queerfootballfanclubs“ wird noch deutlicher. Er schreibt in einem offenen Protestbrief an den DFB: „Oliver Bierhoff hat der Homophobie im Fußball ein Gesicht gegeben.“ Er benutze das Wort ‚Familie‘ als Gegensatz zu Homosexualität, so das Netzwerk.
Die Haltung Bierhoffs konterkariert die jahrelangen Bemühungen des DFB und vor allem seines Präsidenten Theo Zwanziger, Homophobie im Fußball zu bekämpfen. Eine Arbeit, die auch noch nicht so alt ist. Noch 2007 gab es ein Sportgerichtsverfahren, weil der Dortmunder Keeper Roman Weidenfeller den damaligen Schalker Spieler Gerald Asamoah nach Asamoahs Aussage als „schwarze Sau“ bezeichnet hatte. Was drohte, war eine lange Sperre wegen rassistischer Beleidigung. Im Verfahren wurde nun behauptet, er hätte „schwule Sau“ gesagt. Das sah der DFB als nicht-rassistische Beleidigung an und senkte die geplante höhere Strafe auf drei Spiele. In einem Dokumentarfilm zum Thema Homosexualität im Sport aus dem Jahr 2008 wird der damalige Trainer des 1.FC Köln Christoph Daum um ein Statement gebeten und wird deutlich: „Da wird es sehr deutlich, wie sehr wir dort aufgefordert sind, gegen jegliche Bestrebungen, die da gleichgeschlechtlich ausgeprägt ist, vorzugehen. [..] Gerade den uns anvertrauten Jugendlichen müssen wir mit einem so großen Verantwortungsbewusstsein entgegen treten, dass gerade die, die sich um diese Kinder kümmern, dass wir denen einen besonderen Schutz zukommen lassen.“
Inzwischen hat der DFB gelernt. Mit Aktionstagen und fortlaufender Propagierung des Themas (spannenderweise häufig im Zusammenhang mit der Erkrankung Depression) wird zunehmend versucht, auch hier eine Normalität herzustellen. Profis werben für mehr Akzeptanz, wie Phillip Lahm, der als erster Bundesligaprofi für ein schwules Magazin Rede und Antwort stand und auch das Front-Cover zierte, oder Mario Gomez und Manuel Neuer, die vor kurzem dazu aufriefen, dass sich schwule Fußballer outen sollten. Es scheint so, als ob alle darauf warten, dass es endlich das erste Outing gibt. Damit wird jedoch auch die Messlatte immer höher angesetzt, die öffentliche Aufmerksamkeit wird gewiss sein. Die Hoffnung der Verbandsfunktionäre ist, dass mit der einhergehenden Skandalisierung daraus Normalisierung erwächst. Es scheint undenkbar, dass dies in absehbarerer Zeit durch einen aktiven Fußballer der Profiliegen erfolgen könnte. Um das nachzuvollziehen, sollte es reichen, sich mal in einen schwulen Profifußballer rein zu denken. Plastisch beschreibt das Marcus Urban. Er war 1990 Amateur-Spieler beim damaligen Zweitligisten Rot Weiß Erfurt, hatte glänzende Aussichten auf eine Profikarriere. In der DDR spielte er bereits für die Jugendnationalmannschaft. Unter dem Druck des dauernden Versteckens gibt er sich auf dem Platz aggressiver als andere, verbringt viel Zeit und Kraft damit, heterosexuell und männlich zu wirken. Vor Start seiner möglichen Profikarriere entscheidet er sich jedoch dagegen. Ein Outing erfolgt erst Jahre später. Wie müsste ein schwuler Bundesligaprofi agieren? „Scheinfreundin“ sicherlich, Besuch von Freunden oder heimliche Beziehung wäre nahezu ausgeschlossen in Zeiten von Handykameras und ‚BILD-Reportern‘. Das zu überstehen in einem Zeitraum von vielleicht 15 Jahren bis zum Karriereende mit 35 oder darüber hinaus? Das Gedankenspiel kann anhand der eigenen Biographie gerne weitergesponnen werden. Der Verlust nicht nur an Lebensqualität lässt sich nicht ermessen.
Dass es geht, zeigt eine andere Sportart, nämlich Rugby. Einer der Stars, des in Deutschland kaum verbreiteten Sport, welcher noch mehr auf Männlichkeiten setzt als Fußball hat sich 2009 geoutet. Gareth Thomas, Rekordnationalspieler, im Spätherbst seiner Karriere, aber eines der Idole des walisischen Rugbys outete sich Anfang des Jahres und zerstörte dabei mehrere Klischees gleichzeitig. Ansonsten blieb es erstaunlich geräuschlos, von relevanten Anfeindungen ist nichts bekannt, nur weltweite Unterstützung in Briefen ist bekannt.
Zurück zum Männerfußball. Was hätte ein sich outender Spieler zu erwarten? Auf Vereinsebene und auch von Seiten des DFB, wären von Seiten des sich Outenden kaum Repressionen zu befürchten. Wie ist es aber mit den Fans? Fanvertreter werden nicht müde, ihre Toleranz zu betonen, was aber im Stadion wirklich passieren würde, weiß niemand. Solange der eigene Spieler gut und erfolgreich wäre, sicher kein Problem, aber ein Formtief könnte die Stimmungslage ändern. Mehr noch, was ist mit einem Spieler der Gegner, insbesondere dem Torwart, der alleine vor der gegnerischen Fankurve stehen müsste? Erinnert sei hier an die Hohn- und Spottgesänge für den Bremer Torwart Tim Wiese, der nicht nur seine Haare geelte, sondern eine Zeitlang ein pinkfarbenes Torwarttrikot trug. Wäre da Akzeptanz zu erwarten? Ein Schritt weiter: Wie würde der Umgang mit den Spielern untereinander sein? Und vor allem: Wie gelingt es, Nachwuchsspielern auf allen Ebenen gleichberechtigte Chancen einzuräumen, denn gerade das Aussieben mit der Entscheidung für oder gegen eine Profikarriere erfolgt im Pubertäts- und potentiellen ComingOut-Alter. Diesem doppelten Druck, mit dem eigenen Coming Out fertig zu werden, sich zu verstecken und trotzdem Höchstleistungen zu bringen dürften die wenigsten Stand halten. Hier müssen repressionsfreie Räume geschaffen werden.
Wie es scheint gibt es noch viel zu tun, allein damit, dass sich ein Spieler outen würde, wäre es sicher nicht getan, nicht mehr als ein erster Anreiz. Andere müssen folgen, auf allen Ebenen und ganz sicher nicht nur im Fußball. Erst wenn die sexuelle Orientierung wirklich auf allen Ebenen egal ist und patriarchale Männlichkeitsbilder überwunden sind, werden wohl auch solche Debatten überflüssig.
Der Beitrag erschien in den Rosigen Zeiten 02/2011