(erschienen in Rosige Zeiten Aug/2011)
Wie jedes Jahr im Sommer klagen Blutbanken und Krankenhäuser über fehlende Blutspenden. Das hindert die Bundesärztekammer – die für die Richtlinien zur Blutspende verantwortlich ist – nicht daran, Vorurteile aufrechtzuerhalten und weiter zu befestigen. Auch im 21. Jahrhundert gilt: Wer schwul ist, darf kein Blut und auch kein Knochenmark spenden.
Bereits 2003 ausführlich in den Rosigen Zeiten thematisiert (Ausgabe 19/2003), hat sich trotz gestiegener gesellschaftlicher Akzeptanz und neuer Testmethoden noch nichts an der offenen Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung geändert. In den 1980er Jahren – auf dem Höhepunkt der Aids-Welle und bevor es ausreichend Testmöglichkeiten gab, wurde der Ausschluss Schwuler beschlossen. Skandale wegen HIV-verseuchtem Blut machten damals die Runde. Inzwischen wird jede Blutprobe getestet – das ist seit 1985 vorgeschrieben. Das diagnostische Fenster – der Zeitraum zwischen Ansteckung und Nachweismöglichkeit durch Tests – ist inzwischen auf 9 bis 11 Tage gesunken. Allein Blutspenden in diesem Zeitraum liefern ein theoretisches Risiko. Ein Risiko, welches jedoch mit sexuellem Riskoverhalten in Verbindung steht und nicht mit der sexuellen Orientierung. Zudem: DEN schwulen Spender gibt es nicht, genauswenig, wie Risikoverhalten innerhalb der schwulen Szene homogen ausgeprägt ist. Nimmt man dazu noch die durchschnittliche Spendenhäufigkeit von zweimal jährlich und die vorhandene HIV-Verbreitung erscheint das Risiko sehr theoretisch und ist definitiv nicht auf die sexuelle Orientierung abbildbar. Verstärkend kommt noch hinzu, das, wie anerkannten Studien von Anja Preuß (2003) und dem Bundesgesundheitsamt (1993) belegen, dass trotz Verbot überproportional viele Schwule Blut spenden, beispielsweise indem sie sich selber nicht als schwul definieren. Andere Länder haben erkannt, dass ein Ausschluss aufgrund sexueller Orientierung keinen Sinn macht. Italien, Russland oder Spanien beispielsweise haben längst ihre Regelungen liberalisiert.
Eine kleine Änderung ist in Sicht: Das Robert-Koch-Institut arbeitet gegenwärtig – gemäß den Antworten der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linkspartei von Oktober 2010 (DS17/3568) – an einem gemeinsamen Vorschlag für den Fragebogen der Blutspendedienste. Diese werden bisher von den Diensten individuell und eigenverantwortlich selbst gestaltet. Nach diesen neuen Vorschlägen soll die Abfrage nach Homo- bzw. Bisexualität nicht mehr gemeinsam mit Prostitution und Drogenhandel erfolgen.
Dieser rein kosmetischen Änderung steht eine andere fundamentale gegenüber, die den Blutspenderausschluss sogar noch erweitert! Mit Beschluss der Bundesärztekammer im Juli 2010 sollen alle „Männer die Sex mit Männern haben“(MSM) prinzipiell kein Blut spenden dürfen. Damit verschiebt sich der Ausschluss von der subjektiven Selbstdefinition (ob ich schwul bin definiere ich schließlich für mich selber) hin zu einer scheinbar objektiven Pauschaldefinition. Formell reicht es nun also aus, als Pubertierender schwulen Sex mal ausprobiert zu haben, um von der Blutspende ausgeschlossen zu werden. Die MSM-Definition findet auch in den Regularien von Spanien und Italien Anwendung. In Spanien erfolgt ein Ausschluss für sechs Monate in Italien sind es vier Monate. Eine Diskriminierung sieht die Bundesregierung dabei explizit nicht, da ein reiner „Ausschluss von Risikogruppen“ vorliege. Eine Änderung, die auf Risikoverhalten zielt, also die bspw. Menschen die mit wechselnden Sexualpartner_innen ungeschützten Sex praktizieren, egal welcher sexuellen Orientierung sie sich definieren, von der Blutspende ausschließt, rückt in weite Ferne.
[…] Artikel mit der Auseinandersetzung zu den Hintergründen aus dem Jahre 2011 und 2003 gibt es […]