Anmerkungen zu einer Studie (erschienen in Rosige Zeiten, Oldenburg, Dez.2007)
Die vergangene ROZ setzte sich mit einer Studie von Maneo auseinander und wies statistische Schwächen, sowie offen rassistische Betrachtungen nach. Mittlerweile ist eine weitere Studie erschienen, die hier ebenso betrachtet werden soll. Vorweggenommen sei, sie kommt zu ähnlichen Schlüssen, wie die Studie von Maneo, betont wiederum Migrationshintergrund als Ursache homophober Gewalt und legt wenig Gewicht darauf, dass homophobe Ansichten in allen Gruppen der befragten Jugendlichen ein beängstigendes Ausmaß annehmen.
Am 25.September lud der LSVD zu der Fachtagung „Schwule sind voll eklig“. Hintergrund bildete eine von Prof. Simon (Universität Kiel) verfasste Studie, die explizit homophobe Vorurteile von „Menschen mit Migrationshintergrund“ untersuchte.
Von der Studie ist auch zwei Monate nach Veröffentlichung lediglich eine einseitige Fassung verfügbar, die komplette Version war hingegen weder über LSVD noch über Prof. Simon zu beziehen. Insofern muss sich dieser Artikel insbesondere auf die Reaktionen beschränken, von denjenigen, die die Studie – vermutlich auch nur die einseitige Kurzfassung – zur Untermauerung der eigenen Argumentationen heranzogen. Für die Studie wurden 922 Jugendliche aus Berlin mit deutschem, türkischem oder russischem (bzw. aus einer der ehemaligen Sowjetrepubliken) Hintergrund zu ihrer Einstellung zu Homosexualität befragt. Auf der einseitigen Zusammenfassung wurde für einen großen Anteil der Befragten (egal welcher Gruppe zugeordnet) eine mehr oder minder offene homophobe Einstellung sichtbar, insbesondere bei männlich sozialisierten Jugendlichen (siehe Kasten). Bei Menschen ohne Migrationshintergrund sieht die Situation etwas besser aus – unisono waren die Schlussfolgerungen der Studie und der Reaktionen auf die Studie: Der Autor meinte, dass die Ergebnisse eher die untere Grenze darstellen würden, an einer anderen Schule wäre die Homophobie noch viel höher. Woher er diese Erkenntnis nimmt, erklärte er hingegen nicht. Die LSU rief zum Kampf gegen Gewalttäter auf und auch die CDU Berlin entdeckt ihr Herz für deutsche Homosexuelle.
Gürkan Buyurucu von GLADT (Gays and Lesbians aus der Türkei) reagierte in einem Interview in der Zeitschrift TAZ differenzierter: „Ich kann nicht bestätigen, dass türkischstämmige Jugendliche zu 80 Prozent homophob sind. Diese Aussage ärgert mich. Jetzt sind Jugendliche mit Migrationshintergrund nicht nur potenzielle Kriminelle, sondern auch noch homophob. Ich glaube nicht, dass Deutsche weniger Probleme mit Schwulen haben. Aber sie wissen, dass diese Einstellung von der Gesellschaft nicht erwünscht ist.“ Insofern: spielt ggf. auch das Wissen um Gepflogenheiten eine Rolle?
Die Studie kommt zu dem Ergebnis (ohne das bisher durch Zahlen zu belegen), das Religion und traditionelle Familienstrukturen Ursachen der Homophobie seien. Deutlich zu machen ist hier, dass immerhin diesmal keine Reflexe gegen Islam angebracht sind, da die ‚Mehrheits-Religion’ in den ehemaligen Sowjetrepubliken christlich, orthodox ist. Interessant wäre hier, was hätte eine Umfrage im (mehrheitlich) christlich-katholischen Altötting erbracht – oder in Fulda, in dem der Bischof kirchlichen Kindergärten verbietet, Theaterstücke der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu besuchen?
Ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt etwas anderes, was auf der einseitigen Kurzfassung der Studie keine Thematisierung findet: eine homophobe Einstellung insbesondere bei männlich sozialisierten Jugendlichen. Die (Kurzfassung der) Studie kommt zwar zur Aussage, dass starke Männlichkeitsnormen besonders homophobe Ansichten unterstützten, fragt aber nicht, warum solche Normen bei weiblich sozialisierten Jugendlichen weit geringer sind. Interessant wäre nun eine Analyse, welche spezifischen Sozialisationen männlicher Jugendlicher dazu beitragen, Ängste um die eigene Männlichkeit und Homophobie zu schüren. Geschlechtersegregation zu vermindern, die Last einer geschlechterbinär segregierten Gesellschaft von jungen Menschen zu nehmen, könnte eine Möglichkeit darstellen, um Abwehr und Hass gegenüber Menschen mit anderen Lebenskonzepten zu vermindern.
Die (Kurzfassung der) Studie kommt immerhin zu dem Ergebnis, dass Kontakte zu Lesben und Schwulen helfen, Vorurteile abzubauen. Daran gilt es anzuknüpfen – und Kennenlernen als Mittel zum Abbau von Vorurteilen sowohl in Bezug auf sexuelle Identität, als auch Herkunft zu forcieren. Kennenlernen beruht jedoch immer auf zwei Seiten, darüber sollte insbesondere die schwule Community nachdenken, statt nur einseitig zu fordern.
Die ausführliche Studie liefert dann hoffentlich ein ausdifferenziertes Bild, dass Anstrengungen zur gründlichen Überarbeitung von Bildungskonzepten unterstützt, die u.a. so aussehen könnten, dass strikte Normierungen zu Gunsten vielfältiger Lebensweisenkonzepten in Lehrplänen weichen müssen.
(erschienen in Rosige Zeiten, Oldenburg, Dez.2007)