ein Gastbeitrag von Salih Alexander Wolter
Der 1995 von Ilona Bubeck und Jim Baker gegründete lesbisch-schwule Querverlag in Berlin-Schöneberg hatte sich in den ersten Jahren seines Bestehens große Verdienste um die Durchsetzung der Queer Theory im deutschen Sprachraum erworben, wofür vor allem die deutsche Fassung des bis heute unübertroffenen Einführungsbands von Annamarie Jagose und die Veröffentlichung der frühen Arbeiten von Sabine Hark stehen.
Doch mit der Publikation des vom LSVD Berlin-Brandenburg Anfang 2004 herausgegebenen Readers Muslime unter dem Regenbogen: Homosexualität, Migration und Islam übernahm der Verlag eine Pionierrolle bei der Etablierung der heute – in Zeiten, da die AfD leider in allen Parlamenten sitzt – zumindest als Schlagwort allgemein wie selbstverständlich akzeptierten »Islamkritik« (gibt es eigentlich auch so etwas wie »Christentums-« oder »Buddhismuskritik«?), vor allem schwuler Provenienz.
Damals antwortete der Berliner queer-migrantische Verein GLADT, dem ich bis heute angehöre, mit einer ausführlichen Pressemitteilung, die in den folgenden Jahren der heftigen medialen Auseinandersetzung als eine Art »Grundsatzerklärung« des rassismuskritischen queeren Aktivismus galt.
Repräsentativ gesammelt wurden diese Gegenpositionen zum Mainstream in Koray Yılmaz-Günays Buch Karriere eines konstruierten Gegensatzes: zehn Jahre »Muslime versus Schwule«, das 2011 erstmals erschien und seit Ende 2014 in einer Neuausgabe bei der Münsteraner Edition Assemblage vorliegt (aus Gründen der Offenlegung sei erwähnt, dass ich selbst zu diesem Band beigetragen habe).
All dies schicke ich voraus, um klarzumachen, was ich mir bei der Ankündigung des Krimis Schöneberger Steinigung aus dem Haus von Bubeck und Baker versprach – nämlich nichts, zumindest nichts Gutes.
Ein wegen seines schwulen Coming-outs geschasster katholischer Priester und rechtsradikaler Propagandist wird von einer joggenden Arztgattin kaum mehr als hundert Meter von meiner Wohnung entfernt übelst zugerichtet tot aufgefunden… Wer war es wohl? Bei der Beschreibung des Opfers denkt man natürlich gleich an den schwulen Theologen, Publizisten und Hass-Blogger David Berger, der auch nicht weit von hier wohnt.
Aber Peter Fuchs, der Autor, ist schlau genug, um aus dem Toten einen besonders hochgewachsenen Mann zu machen, während am Ende des Buchs ein etwas klein geratener älterer suspendierter Lehrer, im Gym aufgemuckt und mit gegeltem Haar und Hunden, die um ihn umherspringen, eine wesentliche Rolle spielt – ich liebe die Ironie, vielleicht auch Perfidie dieses Plots!
Und auch ansonsten stimmt hier jedes Detail: Straßenszenen, Imbisse, Restaurants und auch die Wohnungseinrichtungen von Gentrifizierer_innen – alles ist exakt beobachtet und schnörkellos auf den Punkt gebracht; dass gewisse Personen geradezu karikaturesk überzeichnet werden (so zum Beispiel die unermüdliche Rosenkranz-Beterin Ursula von Übelbach – bei der man natürlich auch an reale Vorbilder denken darf –, die findet, dass „Gott den Anus nicht als Geschlechtsorgan geschaffen“ habe), gehört zum Genre und erhöht den Lesegenuss sogar.
Ich jedenfalls habe einen so guten und spannenden Berlin-Krimi seit Pieke Biermanns Potsdamer Ableben von 1987 (auch der sehr Schöneberg-lastig) nicht mehr gelesen, und die Tendenz ist ganz und gar antirassistisch. Es wäre schön, wenn sich der Querverlag in Zukunft auf Unterhaltungsliteratur dieser Güte konzentrieren würde.
Salih Alexander Wolter
Dieser Beitrag erschien zuerst in Rosige Zeiten, Oldenburg
Peter Fuchs: Schöneberger Steinigung. Kriminalroman
Berlin 2019: Querverlag, 304 Seiten, broschiert, 14 Euro, ISBN 978-3896562722