(Erstveröffentlichung in Zivilcourage 5/2012)
Wolfram Beyer: Pazifismus und Antimilitarismus. Eine Einführung in die Ideengeschichte. Schmetterling Verlag, Stuttgart 2012; 237 Seiten; 10 Euro
Wolfram Beyer versucht mit „Pazifismus und Antimilitarismus“ in der Reihe politischer Einführungsliteratur theorie.org einen Übersichtsband über die antimilitaristische und pazifistische Ideengeschichte, doch er verheddert sich in einer allzu einseitigen Erhöhung anarchistischer FriedensaktivistInnen und im Klein-Klein der vielen Stichworte.
Mit Schwerpunkt auf anarcho-syndikalistische Richtungen legt Beyer eine Einführung in Pazifismus und Antimilitarismus vor. Nach einer kurzen Einführung beider Stichworte und einem knappen zeithistorischen Überblick wendet er sich einzelnen gesellschaftlichen Bereichen und ihrer Bedeutung für friedensbewegtes Handeln zu. Darunter sind etwa Stichworte wie Föderalismus, Menschenrechte, Gewaltfreiheit, Soziale Verteidigung, Denkmalskultur, Ökonomie, Religion und weltlicher Humanismus.
Die Schlagworte werden stets weiter untergliedert, so dass eine ausdifferenzierte Darstellung erfolgt. Allerdings bleibt somit wenig Platz (meist nur 1 bis 2 Seiten je Thema), was die Tiefe der Darstellung extrem beschränkt. Dieses Problem wird durch eine reichliche und ausführliche Zitation verstärkt, die – sinnvoll im Detail, aber meist ohne Einbindung und Bewertung im Kontext – dazu führt, dass die einzelnen Themenbereiche lückenhaft bleiben müssen.
Führt die große Zurückhaltung des Autors gegenüber sozialistischen Bewegungen dazu, dass kaum verständlich wird, warum etwa die KPD sich meist deutlich antimilitaristisch und selbstverständlich international positionierte, so führt die weitgehende Ausblendung der Frauenfriedensbewegung dazu , dass eine völlig verzerrte Darstellung der Friedensbewegung entsteht. Sie erscheint als Männerbewegung, die zentralen Frauen in antimilitaristischen und pazifistischen Auseinandersetzungen werden teilweise nicht einmal genannt – erinnert sei nur an Clara Zetkin – oder nur knapp abgehandelt. Damit wird es für Beyer nötig, „Frauenbewegung/Gender“ als eigenes Kapitel anzulegen, aber auch dieses wird mit dem Mann Magnus Hirschfeld, einem ausführlichen Zitat aus einer Schrift Volkmar Siguschs und schließlich Einordnungen Friedrich Engels und August Bebels eröffnet, erst dann kommen in der zweiten Hälfte des Abschnittes Frauen zu Wort. In diesem Sinne gilt auch die rein männliche Sprachverwendung als Indiz für eine präfeministische Positionierung des Autors.
Durch diese Anlage des Bandes bleibt der aktuelle politische Nutzen des Bandes eingeschränkt: Er gibt einen schlaglichtartigen Überblick über das Themenfeld Pazifismus/Antimilitarismus aus einer anarchistischen Perspektive. Aber warum demonstrierten 2003 wöchentlich 100.000 gegen den dritten Golfkrieg, während es bei nachfolgenden Kriegen, insbesondere solchen mit Bundeswehrbeteiligung, ruhig blieb? Wie haben sich antimilitaristische Gruppen seit den 1950er Jahren bis heute in Ost und West gebildet und verändert? Wie hat sich eine pazifistische und antimilitaristische politische Bewegung nach dem Ende des Kalten Krieges verändert und welchen Einfluss hatte vor allem der bellizistische Schwenk der Grünen nach Regierungsübernahme (ein einschneidendes Thema der Friedensbewegung, welches praktisch komplett außen vorgelassen wird)? Was haben also konkrete lebensweltliche Erfahrungen von Menschen wie etwa Demonstrationen oder enttäuschte Erwartungen für Auswirkungen auf ihr Eintreten gegen Krieg? Und was bedeutet es – um wieder auf „Gender“ zurückzukommen –, dass aktuelle Frauen- und Homosexuellenrechte zur „nationalen“ Verortung Deutschlands und als Kriegsgrund immer bedeutsamer werden?
Aber auch theoretisch wären einige Präzisierungen angebracht. So verweist der Autor auf den in der DFG-VK geprägten Begriff des politischen Pazifismus als Synonym für einen aktiven modernen Pazifismus, ohne zu erwähnen, dass Ludger Volmer, Anfang der 1990er Jahre Parteivorsitzender der Grünen und von 1998 bis 2002 Staatsminster im Außenministerium, im Rahmen der Debatte um den Schwenk der Grünen nach ihrem Regierungsantritt 1998 – durchaus wirkmächtiger – den Begriff als Eigenverständnis für die grüne Interventionspolitik, also auch für militärisch eingreifende „Friedensarbeit“, verstanden wissen wollte. Ohne diese Erklärung wird aber der Begriff in der heutigen Verwendung missverständlich. Einige für ein Verständnis der pazifistischen Ideengeschichte grundlegende Begriffe fehlen zudem schmerzlich. Genannt seien an dieser Stelle die Auseinandersetzungen um einen gesinnungsethischen gegenüber einem verantwortungsethischen Pazifismus und die Unterscheidung nach Mittel- vs. Wegpazifismus samt ihrer theoretischen Grundlagen.
Weniger Stichworte und mehr Tiefe im Zusammenhang mit der Thematisierung aktueller Herausforderungen wären gewinnbringend für den Band gewesen.