Seit vielen Jahren beschäftigen sich Aktive des Friedensbüros Hannover und der DFG-VK mit der Geschichte der hannöverschen Deserteure. Im September 2011 erschien dazu ein Sachbuch, welches die Forschungsergebnisse zusammenfasste. Belegt ist danach für mindestens 15 Soldaten, die wegen Wehrkraftzersetzung, Kriegsverrat oder Desertion durch die NS-Militärjustiz zum Tode verurteilt wurden – der Ort der Hinrichtung. Hannover – genauer der alte Schießstand auf dem Kasernengelände in Hannover Vahrenheide, auf dem sich heute die Emmich-Cambrai-Kaserne befindet (damals geteilt in Kriegsschule, Emmich-Kaserne und Cambrai-Kaserne). Inzwischen ist der Ort an der Kugelfangtrift die zentrale Ausbildungsstätte der Feldjäger der Bundeswehr.
Naheliegend, das als Ort des Gedenkens an dieses Unrecht auch dieser Ort zentrale Bedeutung haben müsste. Daher fragten Friedensbüro Hannover und die Initiative für ein Deserteursdenkmal in Hannover im März bei der Bundeswehr an, um für den 15. Mai, den internationalen Tag des Kriegsdienstverweigerers – welcher weltweit auch für Erinnern an hingerichtete Deserteure genutzt wird, auf dem Kasernengelände der Bundeswehr eine kleine Gedenkveranstaltung – mit dem Ziel eines würdigen Gedenkens an diese Opfer der NS-Militärjustiz – abzuhalten (brief_bw_20120305).
Die Antwort der Bundeswehr lies lange auf sich warten. Mitte April trudelte ein Brief ein, in welchem uns mitgeteilt wurde, das wir uns „aufgrund der Grundsätzlichkeit und Komplexität des zu betrachtenden geschichtlichen Hintergrundes“ an das Bundesverteidigungsministerium wenden sollten. Da wir diese Verzögerungstaktik nicht bereit waren mitzumachen, antworteten wir postwendend, dass wir nicht verstünden, warum für eine regionale Veranstaltung das Verteidigungsministerium durch uns kontaktiert werden müsse. Zudem könne ein grundsätzliche Bedeutung nicht gesehen werden, da der Bundestag abschließend 2009 alle Opfer der NS-Militärjustiz rehabilitiert habe und ein daher die Unrechtmäßigkeit der Urteile eindeutig sei(brief_bw_20120413). Der folgende formlose Hinweis, dass der Brief nun an das BMVg weitergeleitet sei, reichte uns nicht als Antwort. Wir wandten uns an die Presse.
Aufgeschreckt lies der verantwortliche Kommandant Katz verlauten, er wüsste nichts von Erschießungen auf den Gelände. Ein glatte Lüge, wie mehrere Zeugen bestätigen konnten. Daraufhin ruderte Katz weiter zurück und räumte via Hannoverscher Allgemeiner Zeitung ein, dass sie nun festgestellt hätten, das dem tatsächlich so wäre und Erschießungen auf dem Kasernengelände vorgenommen wurden. Wer glaubt, die Posse wäre hier zu Ende irrt. Neues Argument gegen ein würdiges Gedenken war nun der Hinweis auf das geplante Datum: „Die Bundeswehr ist jedoch aus sicherlich nachvollziehbaren Gründen darum bemüht, einem Missbrauch von Gedenkfeiern zu politischen Demonstrationen, deren Ziele nicht mit den Grundsätzen für die Traditionspflege der Bundeswehr vereinbar wären“ (aus der Antwort an das Friedensbüro Hannover vom 10.05.12).
Nur zur Erinnerung. Beantragt wurde ein Gedenken: „Als Bürgerinnen und Bürger unseres demokratisch verfassten Landes und aktiv in der Hannoverschen Friedensbewegung und der Initiative für ein Deserteursdenkmal in Hannover wollen wir diesen Menschen gedenken. Das soll würdevoll am Ort der Hinrichtung geschehen. […]Wir sind sicher, dass es auch in Ihrem Interesse ist, derjenigen angemessen zu gedenken, die sich der Nazi-Diktatur und ihrem Angriffskrieg verweigerten..“ Ist wirklich davon auszugehen, dass dieses Ansinnen nicht in die Traditionspflege der Bundeswehr passt? Soweit so schlecht. Vorsichtshalber lehnt Katz zusätzlich ein Gedenken an diesem Ort grundsätzlich ab und schlägt als einzig denkenswerte Alternative den Fössefeldfriedhof vor (dort haben zwischen vielen anderen Soldaten auch Hingerichtete ihre letzte Ruhestätte in Soldatengräbern). Einzig denkbares Gedenken in der Diktion der Bundeswehr ist also der Ort der Trauer, nicht der Ort der Taten. Eine Logik die gruseln lässt.
Als am 15.Mai Friedenaktivist_innen Einlass begehrten, blieb die Tür geschlossen. Immerhin erlaubte die Bundeswehr großzügig auf der Wiese vor dem Kasernengelände (der formell bereits der Bundeswehr gehört) eine kleine Gedenkveranstaltung abzuhalten.
Ein nachdenkliches Gefühl bleibt. Auch 2012 fehlt noch immer jegliches Erinnern an diesem Ort der Täter. Die Bundeswehr findet keinen souveränen Umgang mit der militärischen Geschichte und der Historie ihrer Orte. Auch darum ist ein städtisch präsentes Deserteursdenkmal in Hannover so wichtig.
Dokumentation:
Briefe an die Emmich-Cambrai-Kaserne vom 05.03.2012 und vom 13.04.2012
PM des Friedensbüros und der Initiative für ein Deserteursdenkmal vom 6.Mai und vom 13.Mai
HAZ-Artikel vom 12.5. und vom 16.5.
Persönliche Anmerkungen/ Leserbrief von Klaus Falk
Steffen Schulz meint
Das hat Konstantin Wecker heute auf seiner Homepage geschrieben:
„14. Juni 2012: Nervös und hellhörig
Liebe Freunde,
unser Bundespräsident Joachim Gauck hat am Dienstag in wohltönenden und gefühlsstarken Worten für die Kriegseinsätze der Bundeswehr geworben und die Bevölkerung indirekt aufgefordert, für ihr Land gegebenenfalls auch ihr Leben zu geben.
Es mag ja SoldatInnen geben, die sich dafür begeistern.
Wenn mir allerdings wieder jemand das Sterben fürs Vaterland schmackhaft machen will, dann werde ich sehr nervös und hellhörig. Das erinnert mich an eine Kriegsrhetorik, von der ich glaubte, wir hätten sie schon längst überwunden. Außerdem ist es eine Lüge, daß unsere Freiheit im Ausland verteidigt wird. Es ist ausschließlich die Freiheit des Marktes.“
Ich fände gut, wenn er am 29. Juni in Hannover auftritt.