geschrieben von heinzi, 6.5.06
Die konservative Regierung der Bundesrepublik Deutschland beginnt von Schweden zu lernen. So weit, so gut erst einmal. Eltern sollen zwölf Monate lang ein Elterngeld erhalten, dass 67 % des letzten Netto-Einkommens entspricht. Wenn beide Elternteile die Kinderbetreuung übernehmen, kommen weitere zwei Monate Elterngeld hinzu. Damit haben CDU/CSU und SPD die Tür zu einer stärkeren Verantwortung beider Elternteile für die Babybetreuung einen Spalt weit aufgestoßen. Bei der z.T. sehr konservativen Klientel, die auch im 21. Jh. noch das Prinzip ‚der Mann geht arbeiten, die Ehefrau ist seine unentgeltliche Haushälterin’ vertritt (analog gilt das natürlich auch für zahlreiche Lesben und Schwule), ist das durchaus eine bemerkenswerte Leistung. Elterngeld sollen nach dem vorgestellten Kompromis auch ALG II EmpfängerInnen in einer Höhe von 300 Euro erhalten, die nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden sollen. Noch eine Kröte für die erzkonservative Klientel: auch Alleinzerziehende sollen das Elterngeld über einen Zeitraum von vierzehn Monaten erhalten.*
Im gleichen Atemzug hat Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen ein ‚Bündnis für Erziehung’ ins Leben gerufen, zu dem sie neben sich selbst nur die katholisch- und evangelisch-christlichen Kirchen eingeladen hat. In diesem Bündnis sollen Möglichkeiten vorschulischer Erziehung und die Vermittlung christlicher Werte diskutiert werden. Nach den Worten von von der Leyen hätten gerade die christlichen Kirchen aus ihrer Erfahrung heraus etwas zur moralischen Erziehung der Kinder beizutragen und stellten sie 72 Prozent der von freien Trägern unterhaltenen Kindertagesstätten. Andere Kirchen und andere freie Träger waren nicht geladen.
Trennung von Kirche und Staat liegt nicht mehr im Interesse des Staates und der Gesellschaft – und das hat Methode: So wird nach wie vor die Kirchensteuer nur für die evangelisch- und katholisch- christliche Kirche vom Staat eingetrieben, wird christlicher Religionsunterricht an Schulen und nicht in Kirchen oder Gemeindehäusern gegeben, wie es bei anderen Religionsgemeinschaften der Fall ist… Bereits seit Jahren wird auf die Intoleranz so genannter ‚islamischer Fundamentalisten’ hingewiesen und darauf basierend unverblümt Hetze gegen Musliminnen und Muslime betrieben. Der 11. September 2001 hat für die Ausgrenzung von Musliminnen und Muslimen einen willkommenen Anlass geboten und wurde genutzt, um die innere Sicherheit zu verschärfen, Menschen kein Asyl und keinen Aufenthalt zu gewähren und selbst bereits seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebenden oder dort geborenen Menschen das Aufentahltsrecht zu entziehen. Im Jahr 2005 haben so wenig Menschen wie seit 1983 nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und nur weniger als einem Prozent von ihnen wurde der Asylstatus gewährt.
Aber warum diese restriktive Beschränkung der Zuwanderung, wenn sich andererseits die Bundesrepublik Deutschland über zu wenige Kinder beschwert? Es geht gar nicht um Menschen, die arbeiten können oder Kinder, die gut erzogen auf Spielplätzen spielen und das Herz der Eltern und der übrigen Vorbeikommenden erfreuen können. Nein, es geht um weiße, christliche Kinder, insbesondere von Akademikerinnen und berufstätigen Frauen, weil diese derzeit ‚zu wenige’ kriegen. Es geht um Kinder, die Vorstellungen entsprechen, die insbesondere Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. geformt wurden. Es geht um Kinder, die wenn schon nicht ‚rassisch rein’ (wir erinnern uns an die unsägliche Rassenlehre zu Beginn des 20. Jh. und im Nationalsozialismus), dann doch zumindest christlich erzogen sein möchten und sich als Deutsche zu fühlen haben.
Auf einmal ergibt alles einen Sinn: Nachdem in Potsdam ein Deutscher dunkler Hautfarbe (er hat immerhin die sonst oft verwehrte deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, insofern kein Grund auf Begriffe wie ‚Deutsch-Äthiopier’, ‚Deutschafrikaner’ in Presse und Fernsehen zurückzugreifen) von Rechtsetremen fast totgeschlagen wurde, hatte Bundesinnenminister Schäuble nichts besseres zu tun, als darauf zu verweisen, dass auch „blonde, blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten“ würden. Hinzugenommen eine restriktive Zuwanderungspolitik und eine christliche reproduktive Familienpolitik, ergibt sich eine Bevölkerungspolitik der Bundesrepublik Deutschland, die sich noch immer an ‚Blutsverwandtschaft’ und Aussehen als zentralen Merkmalen orientiert. Dies gilt es zu überwinden. Warum besteht so große Angst vor einer breiten pluralistischen und vielgestaltigen Gesellschaft, in der auch Menschen anderer Herkünfte, Hautfarben, Glaubensrichtungen gleichberechtigt teilhaben? Warum werden nationale Elemente wieder herausgekramt und verstärkt eingesetzt? Und warum nehmen daran auch Lesben und Schwule in diesem Maße teil (Vgl. ROZ 103, April/Mai 2006) – und jammern nur, wenn sie keinen eigenen christlichen Gottesdienst zu ihrem CSD abhalten können?
* Von einer Gleichverteilung der Kinderbetreuung werden wir dennoch entfernt bleiben, da sich das durchschnittliche Einkommen von Frauen bei etwa nur 2/3 des durchschnittlichen Männereinkommens bewegt und es sich somit heterosexuelle Ehegemeinschaften schlicht nicht leisten können, über einen längeren Zeitraum auf das höhere Einkommen des Mannes zu verzichten. Auch zu konstatieren ist, dass Frauen auf Grund einer unsicheren Erwerbsposition (von sich selbst oder ihrer männlichen oder weiblichen Partnerin) auf Kinder verzichten. Vor dem Hintergrund von meist befristeten Arbeitsverhältnissen, wenn mensch das Glück hatte einen Job zu erwischen, ist auch für diejenigen, die Kinder in ihrer Lebensplanung vorgesehen haben, keine Planungssicherheit gegeben.