erschienen im Juni2007 in Rosige Zeiten Oldenburg
„Berufsverbot für Schwule gefordert!“, „Europäischer Gerichtshof verurteilt Polen wegen Schwulen-Demo-Verbot 2005“, „Lesbisch-Schwule Demonstration in Polen angegriffen“, so oder so ähnlich sind die Schlagzeilen der vergangenen Wochen und Monate mit denen die Kaczynski-Regierung auf sich aufmerksam machte. Zusammen mit dem Rechtsaußen Giertych von der „Liga polnischer Familien“ (LPR) sind sie die Wegbereiter zu einem „neuen“ Polen, der selbst postulierten IV. Republik. Giertych ist polnischer Bildungsminister und schlug in dieser Funktion im März auf einem EU-Kongress „ das Verbot der Abtreibung in Europa und der homosexuellen Propaganda vor.“ Dazu müsse, so der Minister, die geplante europäische Verfassung entsprechend geändert werden.
Aber nicht nur auf dem Gebiet der Menschenrechte, bei dem sich die Abneigung der Regierung im Übrigen auch auf Menschen anderer Religionen als der katholischen, Frauen oder anderer Ethnien richtet, ist derzeit ein diskriminierender roll-back in der polnischen Politik zu beobachten. Mit dem so genannten Lustrations-Gesetz (Gesetz der rituellen Reinigung) müssen seit dem 15. März 2007 ca. 700.000 Menschen ihr Leben in der Zeit vor 1990 offen legen. Unschuldsvermutung und Recht auf informelle Selbstbestimmung gibt es damit nicht mehr. Sanktioniert wird die „Kollaboration mit geheimen Diensten“. Als Untersuchungs-, Anklage- und Gerichtsbehörde fungiert das ausschließlich mit rechten Historikern und Juristen besetzte „Institut des Nationalen Gedenkens“ (IPN). Berufungsinstanzen existieren nicht. Betroffen sind unter anderen alle JuristInnen, HochschullehrerInnen, SchuldirektorInnen, verbeamtete und leitend angestellte MitarbeiterInnen sämtlicher Behörden des Staates, der Kommunen und sogar in der Wirtschaft, explizit dabei auch JournalistInnen. Damit ist Tür und Tor für eine „Reinigung“ der gesamten wahrnehmbaren Öffentlichkeit von Regierungskritik geöffnet. Widerspruch und Boykottaufrufe werden von der regierenden Partei für Recht und Ordnung“ (PiS) unverholen angegriffen. Wer sich nicht beugt, solle aus Arbeit und beruflicher Laufbahn gefeuert werden.
Zur neuen Politik der Kaczynski-Brüder und der mit ihr verbunden LPR lassen sich problemlos weitere Beispiele anbringen. Ein vor kurzem gescheiterter Versuch, das Abtreibungsrecht an die Vorstellungen der römisch-katholischen Kirche anzupassen, führte zu einer Regierungskrise. Ein Berufsverbot für homosexuelle LehrerInnen, SporttrainerInnen und KunstlehrerInnen wurde nur aufgrund internationaler Proteste nicht weiter erörtet.
Hier wird deutlich: Mit ihrer Ankündigung einer IV. Republik machen LPR, PiS und allen voran die Kaczynski-Brüder ernst. Homophobie, die Ablehnung allen Nichtpolnischen und eine streng katholische Weltanschauung – zu der auch die Ablehnung von Abtreibung und der Emanzipation von Minderheiten gehören – werden zur Staatsdoktrin erhoben.
Welche Wege können aus diesem Dilemma helfen? Auf europäischer Ebene helfen Entscheidungen des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wie das der letzten Aprilwoche, in dem das Verbot des CSD 2005 in Krakow für menschenrechtswidrig eingestuft wurde. Damit dürften entsprechende Verbote in Zukunft deutlich schwerer fallen. Viel wichtiger als diese Urteile sind aber gelebte Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Eine gerade in schwulen Kreisen weit verbreitete antipolnische Stimmung ist kontraproduktiv. Auf allen zivilgesellschaftlichen Ebenen – seien es Gewerkschaften, Vereine, Verbände, Parteien, Kirchen – sollte kommuniziert und zusammengearbeitet werden, um den Abbau gegenseitiger Vorurteile zu befördern. Die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und der BRD in den letzten 50 Jahren hat gezeigt, wozu zivile Projekte in der Lage sind. Hier ist jede und jeder Einzelne gefordert. Natürlich ist auch die parlamentarische Politik gefordert mit neuen Wegen und neuen Ansätzen diese Prozesse zu unterstützen. Ein „Herab schauen“ mit der Diktion westlichen Menschenrechtsverständnises, wie es derzeit praktiziert wird, verstärkt hingegen Vorurteile, wie die der westlich importierten Homosexualität. Auch stellen gerade die rechtlichen Regelungen der BRD für Lesben und Schwule (ELP, AGG) nicht der Weisheit letzten Schluss dar (Regelungen in Spanien, in Frankreich oder den Niederlanden, um nur einige zu nennen, sind weitergehender). Vielleicht erinnert sich die lesbische und schwule Bewegung noch an ihre Wurzeln und den Kampf um Gleichberechtigung in Europa. Nur weil die „offizielle Ebene“ in der Bundesrepublik Deutschland und die EU unterstützend wirken, heißt das nicht, dass (unhinterfragt) eigene – gegebenenfalls eine radikalere Gleichheit einfordernde Konzepte – vergessen werden sollten.
Quelle zu aktuellen Informationen (auf deutsch) www.lavka.info
PS: Im April fand im Übrigen wieder ein Marsch für Toleranz in Krakow statt. Diesmal fand er ohne große Krawalle, dafür auch völlig unbeachtet von der deutschen Öffentlichkeit statt. Im Kasten ein Erfahrungsbericht, mit freundlicher Genehmigung von lavka.info
Der diesjährige Marsch für Toleranz in Kraków wurde – wie schon in den letzten drei Jahren – von der Allpolnischen Jugend und homophoben Normalbürgern gestoppt, bevor er sein Ziel, den Markt, erreichen konnte. Um ihn herum gab es das Festival „Kultur für Toleranz“.
Vom 19. bis zum 20. April fand in Krakow das Festival „Kultur für Toleranz” statt. Ein Schwerpunkt war die Frage, was die sexuelle Orientierung mit Patriotismus zu tun hat und ob der Begriff „Nation” ueberhaupt noch Sinn macht. Im Zentrum Krakóws steht die Karol-Szymanowski-Philharmonie. Aber der homoerotische Subtext seiner Kompositionen wird in der offiziellen Öffentlichkeit nicht rezipiert. Nach wie vor ist es in Polen schwer, sich offen zu Homosexualitaet zu bekennen.
Während des Festivals wurden Filme wie „Shortbus“, „Whole New Thing“ und „Hedwig and the Angry Inch“, die sich mit Themen wie queerlive und Toleranz auseinandersetzen. Es gab verschiedene workshops und Seminare zur Vereinbarkeit von Religion und queerem Leben, lesbischen Comics, queer in Israel und Palestina zu Feminismus und der LGBT-Bewegung und deren Perspektiven in Polen, Frankreich und Deutschland, woran auch die polnische Feministin Wanda Nowicka teilnahm.
Am Sonnabend fand im Rahmen des Festivals ein Marsch für Toleranz statt, an dem ca. 2000 Menschen teilnahmen. Unter ihnen waren auch Vertreter der Sozialdemokratie Polens, der Grünen und vieler kleinerer linker Parteien wie der Union der Linken und der Polnischen Partei der Arbeit. Mit Sprechchören wie „Freiheit, Gleichheit, Toleranz” und „Jeder ist anders, alle sind gleich” zog die Demonstration in Richtung Markt, den sie schon in den letzten drei Jahren nicht erreichte, weil Gegendemonstranten der Allpolnischen Jugend und „Normalbürger” sich in den Weg stellten. Ein grosses Polizeiaufgebot schützte die Demonstranten vor den erwarteten Wurfgeschossen, die diesmal – abgesehen von kleineren Zwischenfaellen – ausblieben.
Schon vor Beginn der Demonstration formierten sich auf dem Markt ca. 200 Anhänger der Allpolnischen Jugend, die bis vor kurzem die Jugendorganisation der mitregierenden Liga Polnischer Familien war. Unter Sprüchen wie „Homo go home”, „Junge und Mädchen – das ist eine normale Familie”, „Die Familie gibt das Leben” und dem Singen der polnischen Hymne verhinderten sie erneut, dass der Marsch fuer Toleranz auf dem Markt enden konnte.
Dieser endete kurz davor mit Hunderten Ballons, die den Platz gleich den Polizeihubschraubern überflogen und dem Skandieren der Losung „Der Krakauer Markt gehört nicht den Faschisten”.
Markus Heide/lavka.info.