erschienen in Zivilcourage 03/2022
Seit Beginn der Ampelkoalition im Bund geistert ein Begriff durch die sicherheitspolitischen Debatten, der vorher nur Insider*innen bekannt war – feministische Außenpolitik. Zeit also, einmal nachzufragen: Was heißt das für eine pazifistische Politik, und warum sollte eine Außenpolitik feministisch sein? Und: Ist die Politik der Ampel-Regierung überhaupt feministische Außenpolitik?
Ausgangspunkt ist die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates „Women, Peace and Security“ (WPS) aus dem Jahr 2000, der weitere Resolutionen folgten. Die Ursprungserklärung geht zurück auf eine Anregung von Netumbo Nandi-Ndaitwah, der damaligen Frauenministerin Namibias.
Diese Resolution 1325 war geradezu revolutionär und hat insbesondere sicherheitspolitische Debatten massiv beeinflusst. Erstmals wurde anerkannt, dass die Bedürfnisse und Erfahrungen von Frauen sowie geschlechtsbezogene Themen als relevant für Frieden und Sicherheit angesehen werden müssen. Das war vorher nicht der Fall. Die WPS-Agenda basiert auf vier Säulen:
- Partizipation an Friedensförderung,
- Prävention – Einbeziehung geschlechterspezifischer Sichtweisen in Konfliktprävention,
- Schutz von Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten und geschlechtergerechte Hilfe,
- Wiederaufbau und Wiedereingliederung.
Damit ist diese Resolution eine wesentliche historische Grundlage für feministische Außenpolitik. Allerdings reichen die Ursprünge weiter zurück. Ideen lassen sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden, bis hin zu den ersten Frauenfriedenskonferenzen. Anita Augspurg, Lida Gustava Heynemann und Bertha von Suttner sind hier frühe Ideengeberinnen. Es ist schade, dass ihre Schriften bis heute kaum rezipiert werden.
Weiterlesen: Feministische Außenpolitik – mehr als ein SchlagwortUmgesetzt wurde und wird die UN-Resolution 1325 durch nationale Aktionspläne. Davon gibt es weltweit bereits über 100. Spannend ist, dass die Länder des globalen Nordens WPS eher außenpolitisch verstehen, in dem Sinne, wie sie den WPS-Ansatz gegenüber dem globalen Süden einsetzen können, während der globale Süden eher innenpolitisch agiert. Hintergrund des Unterschieds: Die Länder des globalen Nordens sehen in ihren eigenen Ländern keinen feministischen Handlungsbedarf, sondern nur bei den anderen, also den Ländern des globalen Südens. So ähnlich argumentierte schon der Kolonialismus, gerade auch der deutsche, – die aktuelle Politik der Länder des globalen Nordens, wiederum auch Deutschlands, setzt diese Politik fort.
Ein weiterer Punkt: Feministische Außenpolitik ist nicht klar definiert. In den folgenden Ausführungen beziehe ich mich vor allem auf die 2017 gegründete Forschungs- und Beratungsorganisation „Centre for Feminist Foreign Policy“ (CFFP; https://centreforfeministforeignpolicy.org), das seit Jahren thematisch aktiv ist und grundlegende Einsichten für die deutsche Debatte geliefert hat und international sehr gut vernetzt ist.
Der Koalitionsvertrag der Ampel verspricht zwar eine feministische Außenpolitik, schränkt diese aber gleichzeitig ein, weil sie sich nur auf die UN-Resolution 1325 bezieht und sich auf Repräsentanz, Ressourcen und Rechte für Frauen, ergänzt um Diversität, beschränkt – und das eben vor allem mit einem Blick auf andere.
Feministische Außenpolitik kann jedoch mehr.
Was ist denn tatsächlich feministische Außenpolitik?
Feministische Außenpolitik soll verändern. Es geht um eine globale Sicherheitspolitik, die Menschen – nicht Staaten – in den Mittelpunkt rückt und marginalisierten Gruppen eine Stimme gibt.[i] Dazu gehören der Abbau von patriarchalen Strukturen und Gewaltverhältnissen.
Geschlechtergerechtigkeit ist zentrale Voraussetzung für Frieden. „Für feministische Außenpolitik ist die Überwindung struktureller Gewalt, die aufgrund von Geschlecht, Herkunft, ‚Race‘, sexueller Orientierung, Behinderungen und anderen mehrfach ineinandergreifenden Diskriminierungskategorien ausgeübt wird, Voraussetzung für Frieden und menschliche Sicherheit.“ [ii] – versucht sich die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung an einer Definition.
Das CFFP ergänzt: „Feministische Außenpolitik …[ist ein] politisches Rahmenwerk, das für das Wohlergehen marginalisierte Menschen nötig ist. Feministische Außenpolitik lässt die Betonung von militärischer Gewalt, Gewalt und Dominanz hinter sich und formuliert ein alternatives und intersektionales Verständnis von Sicherheit aus der Perspektive der Schwächsten.“[iii]
Feministische Außenpolitik und – daher auch der Begriff feministisch – geht also davon aus, dass die großen Krisen unserer Zeit nicht nationalstaatlich, sondern nur international gelöst werden können und dass alle Versuche ohne feministischen Ansatz Machtgefälle vergrößern und damit einer Lösung selbst im Weg stehen würden. Die bisherige bekannte Außenpolitik ist stark männlich dominiert, was dazu geführt hat, dass männliche Sichtweisen und Privilegien die Politik dominieren. Die Welt, wie sie heute ist, ist ein Resultat patriarchaler Struktur und beruht auf diesem Machtgefälle, daher ist intersektional gedachter Feminismus der Ansatz, diese Strukturen zu hinterfragen und zu durchbrechen.
Menschliche Sicherheit steht bei feministischer Außenpolitik – und das ist der entscheidende Unterschied zu klassischer Außenpolitik – vor(!) staatlicher Sicherheit. Und dazu gehört auch, aktiv an Dekolonisierung zu arbeiten. Feministische Außenpolitik ist kein Konzept, mit dem der globale Norden dem Süden die Welt erklärt und vorgibt, wie sie zu gestalten sei.
Feministische Außenpolitik stellt also die Rechte und Bedürfnisse von Frauen, Mädchen und marginalisierten Gruppen – aber letztlich auch aller Menschen, einschließlich der Männer – ins Zentrum politischen Handelns. Das unterscheidet sie auch von klassischer Menschenrechtspolitik, die formale Kriterien wie Pressefreiheit und freie Wahlen in den Mittelpunkt rückt und nicht den Menschen selbst.
Ziel ist es, ein Recht auf positiven Frieden durchzusetzen. Dazu gehört der Abbau von Hunger und Armut und eben der Diskriminierung marginalisierter Gruppen. Es geht nicht nur um die Abwesenheit physischer Gewalt, sondern um die Sicherstellung von Grundbedürfnissen wie Wohnung, Ernährung, Einkommen, körperlicher Integrität, sexueller Selbstbestimmung, reproduktiver Gerechtigkeit, Gesundheit und Schutz vor Umweltkatastrophen. Gesundheitspolitik und Klimaschutz werden integrativ einbezogen und miteinander verschränkt. Damit geht feministische Außenpolitik weit über den klassischen Bereich eines Außenministeriums hinaus. Sie zielt auch auf die eigene Gesellschaft und nicht nur auf andere Gesellschaften.
Was folgt daraus?
Zivile Konfliktbearbeitung ist das Mittel zur Konfliktbewältigung. Abrüstung, eine Welt ohne Atomwaffen und die Abschaffung von Waffenhandel sind alternativlos. Vermeintliche Sicherheitsmaßnahmen, die Militarisierung und Normalisierung des Militärs fördern, sind keine Lösung für Konflikte.
Und genau an dieser Stelle macht die aktuelle Ampel-Bundesregierung genau das Gegenteil: Die nukleare Teilhabe wurde mit der Investition in das Militärflugzeug F35 im Rahmen des 100-Milliarden-Euro-Aufrüstungspaketes zementiert, die Waffenindustrie saniert und auf Jahrzehnte verankert. Feministische Außenpolitik hingegen setzt auf Umgestaltung. Solche militärischen Mittel sollen abgeschafft und in Bildungs- und Sozialangebote überführt werden.
Ein aktuelles Negativbeispiel ist der Krieg in Afghanistan. Wie schnell von Politiker*innen und Militärs die Frauenrechte begraben wurden, als sie als Kriegsgrund nicht mehr taugten, zeigt plastisch, welche konkreten Auswirkungen eine nicht-feministische Politik hat.
Daraus folgt: Ein Schwerpunkt auf positiven Frieden, den Abbau patriarchaler Strukturen, Dekolonialisierung und die Beseitigung gesellschaftlicher Dominanz- und Ausbeutungsverhältnisse muss in nationalen wie internationalen Zusammenhängen gesetzt werden. Diese Ansätze müssen gemäß feministischer Außenpolitik alle Ressorts durchziehen und alle Punkte politischen Handelns beeinflussen.
Nachfolgend einige Stichpunkte, wie dies passieren kann :
- Institutionalisierung feministischer Außenpolitik in allen Ressorts und Schaffung entsprechender Ressourcen und Strukturen;
- Laufende wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Begleitung;
- Einbindung der Zivilgesellschaft mit entsprechender Expertise in Friedensverhandlungen;
- Nutzung von Gender-Konflikt-Analysen in Missionen des Sicherheitsrates, um Machthierarchien besser verstehen zu können;
- Abkehr von einer geostrategisch und interessengeleiteten Außenpolitik zu einer lösungsorientierten und an Frieden, Geschlechtergerechtigkeit, Umwelt und Gesundheit orientierten Richtung;
- Umbau der Vereinten Nationen hin zu Transparenz und gleichberechtigter Partizipation;
- Klare Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik;
- Eine Handelspolitik, die den Menschen im Mittelpunkt hat, nicht den Profit (Löhne, faire Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten etc.);
- Abbau postkolonialer und diskriminierender Machtstrukturen, insbesondere auch dadurch, dass Akteur*innen des globalen Südens Entwicklungsarbeit definieren und ausgestalten;
- Aufbau sicherer und regulärer Migrationswege zur Sicherstellung des Rechts auf menschliche Sicherheit;
Waffenexporte
Das Beispiel Waffenlieferungen und Waffenbesitz zeigt plastisch, wie feministische Außenpolitik wirksam sein könnte. Waffen führen zu geschlechtsspezifischer Gewalt.
Sind Waffen vorhanden, steigt die Wahrscheinlichkeit für Frauen, in „häuslicher Gewalt“ erschossen zu werden, erheblich. Besitzer von Waffen sind überwiegend Männer. Männer sind in politischen Prozessen zu Waffenkontrolle und Abrüstung massiv überrepräsentiert. Damit wird eine männliche Perspektive zementiert. Aufrüsten gilt dabei als stark und männlich, Abrüsten als schwach, naiv und unrealistisch, nach dieser Logik also als weiblich. Waffen werden mit Männlichkeit und Stärke gleichgesetzt. Das verhindert effektiv Abrüstung. Hier ist also nicht nur ein Politik-, sondern auch ein antipatriarchaler Ethikwechsel notwendig. Waffen verstärken das Machtungleichgewicht zwischen Geschlechtern und national betrachtet zwischen dem globalen Süden und dem Norden. Dass zu erkennen, ist eine Grundlage, um Abrüstung und Waffenhandel einzudämmen. Für feministische Außenpolitik ist Abrüstung daher zentral. Fällt sie weg, erfolgt keine Bekämpfung der Ursachen von Konflikten.
Ob die Bundesregierung in dieser Definition feministischer Außenpolitik, wie sie insbesondere vom „Center for Feminist foreign policy“ erarbeitet wurde, agiert oder nicht, wird die Zukunft zeigen. Die aktuellen Handlungen sprechen allerdings eher nicht dafür, sondern bleiben bestenfalls in klassischer Menschenrechtspolitik hängen. Abrüstung und die Abschaffung von Atomwaffen sind aktuell kein Thema mehr. Es wird eher der Fokus darauf gelegt, klassisch die Situation von Frauen und Mädchen innerhalb des aktuellen Systems zu verbessern – oft als Vorwand für andere Interessen, und es geht gar nicht darum, die Logik des Militärischen zu durchbrechen. Insofern ist es nach derzeitigem Stand (Außenministerin Baerbock hat ein Strategiepapier für Anfang 2023 angekündigt) wenig wahrscheinlich, dass Kernelemente klassischer feministischer Außenpolitik die deutsche Politik erreichen, sondern dass der Begriff nur instrumentalisiert wird für deutsche militärische Intervention. Hier wäre es Aufgabe einer politischen Friedenbewegung, sich zu positionieren und echte feministische Außenpolitik einzufordern!
2014 hat Schweden als erstes Land eine feministische Außenpolitik als Grundlage seiner Politik propagiert. Im Rahmen seiner Möglichkeiten, insbesondere in den Vereinten Nationen, hat es erheblich dazu beigetragen, das Thema auf die Agenda zu setzen und auch konkrete Strategiepapiere zu entwickeln. Beim Thema Abrüstung hat Schweden aber komplett versagt. Es liefert auch weiterhin Waffen an Staaten, die Frauenrechte massiv missachten. Inzwischen hat das Land den Beitritt zur Nato beschlossen.
Kritik und Perspektive
So gut feministische Außenpolitik erst einmal klingt: auch feministische Außenpolitik hat Grenzen. Sie ist nicht grundsätzlich antimilitaristisch. Man kann zu dem Schluss kommen, dass es aus feministischer Perspektive sinnvoll ist, militärisch zu intervenieren. Gleichzeitig birgt sie die Gefahr, dass Feminismus oder Menschenrechte als Vorwand für militärische Interventionen missbraucht werden. Durch ihre unklare Definition ist sie offen für propagandistischen Missbrauch. Eine Schärfung und Weiterentwicklung aus antimilitaristischer Perspektive ist hier notwendig. Daher wäre hier der Ansatz für Organisationen wie die DFG-VK, feministische Außenpolitik als gewaltarmen, aber nicht-pazifistischen Ansatz wahrzunehmen und weiterzuentwickeln. Zudem ist feministische Außenpolitik in erster Linie ein Theorieansatz, der bisher nur in geringem Maße den Praxistest erlebt hat. Es mangelt noch an wissenschaftlichen Arbeiten und konkreten Handlungsleitfäden (erste sind in englischer Sprache erschienen – siehe Kasten).
Weitergehend sollten auch vorhandene Konzepte und Strategien der Friedensbewegung überdacht werden. Das hilft auch, neue Zielgruppen für die Idee des Friedens zu gewinnen, indem ihre Bedürfnisse angesprochen und berücksichtigt werden. Das geht von Antirekrutierungsarbeit bis hin zur Initiative „Sicherheit neu denken“ . Eine fällige Revision dieses Konzepts unter der beschrieben feministischen Prämisse gedacht würde es nicht nur realitätsnäher machen, sondern sich auch besser an zivilgesellschaftliche Prozesse anbinden lassen.
Literaturhinweise:
Kristina Lunz: Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen; Berlin 2022
Gunda-Werner-Institut der Heinrich- Böll-Stiftung: Annäherung an eine feministische Außenpolitik. (erschienen als E-Paper, mit vielen weiteren Materialien zu finden auf: Feministische Außenpolitik | Gunda-Werner-Institut | Heinrich-Böll-Stiftung)
[i] Lunz, S. 53
[ii] GWI-Böll
[iii] Lunz, S.201