Seit der sogenannten „Ehe für alle“, also der Aufnahme gleichgeschlechtlicher Zweierbeziehungen in den normativen Kanon der bisher heterosexuellen Beziehungen (wobei einige Rechte noch immer nicht für gleichgeschlechtliche Ehen gelten, die in andersgeschlechtlichen normal sind), haben zwei Wahlen stattgefunden, die Landtagswahl in Niedersachsen und die Bundestagswahl. Bei beiden – so scheint es – ergibt sich eine große Koalition, einmal mit SPD-Mehrheit in Niedersachsen, einmal mit einer Unions-Mehrheit im Bund.
Ein Blick auf beide Koalitionsverträge offenbart eine auffällige Gemeinsamkeit: Lesben, Schwule, Trans*, Inter* und Queers kommen praktisch nicht mehr vor. Weiter noch: Offensichtlich findet nun, nach der Umsetzung der „Ehe für alle“ nichts mehr statt, weitergehende Forderungen sind vollständig in den Hintergrund geraten.
In Niedersachen heißt es im Koalitionsvertrag lapidar: „Um Betroffene von Diskriminierung noch besser zu unterstützen, werden wir die Antidiskriminierungskompetenzen stärken. Insbesondere Diskriminierungen gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen lehnen wir ab. Die Förderung von Projekten in diesem Bereich wollen wir auf Maßnahmen gegen Diskriminierung und für den Gesundheitsschutz ausrichten.“
Im – noch von den Parteien abzusegnenden – Koalitionsvertrag auf Bundesebene steht: „Wir respektieren geschlechtliche Vielfalt. Alle Menschen sollen unabhängig von ihrer sexuellen Identität frei und sicher leben können – mit gleichen Rechten und Pflichten. Homosexuellen- und Transfeindlichkeit verurteilen wir und wirken jeder Diskriminierung entgegen. Wir werden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hierzu umsetzen. Wir werden gesetzlich klarstellen, dass geschlechtsangleichende medizinische Eingriffe an Kindern nur in unaufschiebbaren Fällen und zur Abwendung von Lebensgefahr zulässig sind.”
Bis auf Floskeln finden sich im Text nur Forderungen, die zwingend vorgeschrieben sind. Diskriminierungsabbau muss für unsere Regierung – schon seit Jahren – das Bundesverfassungsgericht anordnen. LGBTIQ werden zudem zum Objekt. Als (potentielles) Opfer von Diskriminierung (und Krankheit) werden sie rein passiv dargestellt – zu Objekten, sie werden nicht im Sinne handelnder Menschen beschrieben.
Dieser Schwenk (insbesondere in Niedersachen, das ja von der SPD regiert wird) macht nachdenklich. Das bezieht sich gar nicht so sehr auf die Parteien, die weitestgehend einheitlich seit Jahren rechtliche Gleichstellung von LGBTIQ einfach mit der Öffnung der Ehe gleichsetzen, vielmehr macht nachdenklich, dass in LGBTIQ-Kontexten kaum weiterreichendere emanzipatorische Ansätze vorangetrieben werden. Ehemals war die Aussage etwa aus Zusammenhängen der Partei Die.Linke: „Wer heiraten will, soll heiraten!“ – und nach dieser Forderung wurden weitreichende Forderungen angeschlossen.
Aber auch zu aktuellen Wahl brachten SPD/Grüne/Linke, ja sogar die FDP, in verschiedener Ausprägung die Idee von Wahlverwandtschaften in ihren Wahlprogrammen auf den Weg – eine Idee, die nicht neu ist, bisher jedoch nicht die gesellschaftliche Debatte erreicht hat. Das Gleiche gilt für eine dringend notwendige Reform des Antidiskriminierungsgesetzes, das als zahnloser Tiger geboren wurde und kaum Wirkung erreicht. Verbandsklagerecht und Umdrehung der Beweislast wären hier zentrale Ansatzpunkte.
Trans* und Inter* gehen im Heiratswahn – mal wieder – unter. Wo bleibt die Forderung nach einer Abschaffung des Transsexuellengesetzes? Wo werden die Forderungen der Inter*-Selbstorganisationen nach einem Verbot der geschlechtszuweisen und -vereindeutigenden Eingriffe ernsthaft politisch umgesetzt? Und auch das Bundesverfassungsgerichtsurteil für einen würdigen dritten Geschlechtseintrag oder alternativ – und besser – für die Streichung des Geschlechts insgesamt aus Personenstands- und weiteren Dokumenten…
Jetzt wäre eine starke queere Bewegung hilfreich, die lautstark Verbesserungen einfordert, die Bündnisse schließt und sich nicht gegeneinander ausspielen lässt. Stattdessen werden identitätsbezogene Vorstellungen von Geschlecht und Bewegung der 70er mit Beißreflexen gegen emanzipatorische Politik verteidigt und existiert eine Bewegung, die Forderungen stellen könnte nicht mehr. Da helfen auch keine CSD`s, solange sie nicht grundlegende politische Fragen stellen.
Dabei bieten die Parteien wunderbare Angriffspunkte in ihren eigenen Papieren. Zum Beispiel der Begriff der Familie: Wenngleich die SPD (zumindest im Wahlprogramm) Familie sehr offen definiert, tut sich die CDU sehr schwer mit Definitionen, insbesondere da ihr der Schlüsselbegriff „Ehe“ abhanden gekommen ist. So heißt es im niedersächsischen Wahlprogramm: „Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft. Familie ist überall dort, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern dauerhaft Verantwortung tragen“. Im niedersächsischen Koalitionsvertrag heißt es dann: „Familie ist, wo Menschen verschiedener Generationen füreinander Sorge tragen – insbesondere Eltern für Kinder und Kinder für Eltern – unabhängig davon, ob sie alleinerziehend, verheiratet, in Partnerschaft oder zusammenlebend sind.“ Aus niedersächsischer Sicht ist Familie also nicht, wo Menschen ähnlichen Alters füreinander da sind (egal ob mit Eheschein oder nicht) – Kind oder Großmutter müssen schon sein.
Im Bundestagswahlprogramm der Union ist es genau anders herum. Hier wir definiert, was alles nicht Familie ist: „Familien und Kinder sind unser großes Glück.[…] Wo immer Menschen Verantwortung für Kinder und ihre Erziehung übernehmen, leisten sie einen wertvollen Beitrag für unsere gemeinsame Zukunft.[…] Ehe und Familien zu fördern, bleibt für uns eine der wichtigsten Aufgaben des Staates. Wir respektieren die unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens. […] Verantwortung wird auch in anderen Formen des Zusammenlebens, die auf Dauer angelegt sind, übernommen und gelebt: Zum Beispiel durch Alleinerziehende, Patchwork-Familien, nicht-eheliche Lebensgemeinschaften und die bestehenden eingetragenen Lebenspartnerschaften.“
Zaghaft wird hier der Spagat zwischen Anerkennung der gesellschaftlichen Realität und ihrer gleichzeitigen Leugnung vorgenommen. Dabei ist es ganz einfach: Familie ist da, wo Nähe ist. Über den Begriff ließen sich wunderbare Bündnisse schmieden – quer durch die ganze Gesellschaft. Das klassische Familienbild nun endlich ins Wanken bringen. Ehe als Privileg abschaffen. Das wäre doch ein Ansatz. Die Vorlage dazu ist da.