„Krieg bedeutet Töten. Wenn du in den Krieg ziehst, musst du töten“ sagt Sabas Duque. Er war ein Krieger durch und durch, unkritisch, ohne Gewissensbisse und Reue. Erst nachdem Sabas sich mit seiner Truppe in einen Hinterhalt locken ließ, aus dem nur er lebend entkam, begriff er, was er getan hatte. „Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Kind. Sie haben Waffen. Sie entscheiden. Sie können andere kontrollieren. Ein junger Kerl mit so einer Macht!“, sagt Sabas Duque heute. Bei einem Anschlag aus dem Hinterhalt wurde er querschnittsgelähmt. Er hat noch nicht viel von der Welt gesehen, aber Waffen aus Deutschland kennt der 18-Jährige: Heckler & Koch, Walther PP, Sig Sauer. (S. 43)
Wie der Kindersoldat der FARC berichtet, spielen deutsche Waffen, insbesondere aus den Haus Heckler & Koch weltweit eine entscheidende Rolle, sei es in Kolumbien, Brasilien, Mexiko, Georgien und vermutlich so ziemlich jeder anderen Krisenregion in der Welt. Millionenfach wurden die Gewehre G3 und G36 verkauft, lizensiert, weiterverkauft, erbeutet und als Mordinstrument gebraucht. Verdient daran hat nicht zuletzt die Waffenschmiede aus Oberndorf.
Waffenexporte bedürfen eigentlich der Genehmigung durch diverse Ministerien und Behörden: Die Bundesministerien für Verteidigung und Wirtschaft müssen zustimmen, ebenso das Auswärtige Amt und ggf. auch der Bundessicherheitsrat. Ihre Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass kein Export in Krisenregionen erfolgt und dass Menschenrechtsverletzungen mit Hilfe dieser Waffen ausgeschlossen sind (was objektiv gesehen ziemlich aussichtlos ist, will man nicht alle Waffenexporte per se verbieten). Diese Entscheidung geschieht im Geheimen, ohne transparente Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit. Fakt ist: Kleinwaffen werden in Kriegsgebiete geliefert. Eventuelle Exporthemmnisse durch Tricks, Lügen und gefälschte Papiere umgangen. Ministerien und ihre Beamt_innen sehen dabei weg und vertrauen auf wertlose Endverbleibsklauseln, genau wissend, dass diese nicht eingehalten werden / eingehalten werden können.
Jürgen Grässlin, Daniel Harrich und Danuta Harrich-Zandberg legen mit „Netzwerk des Todes“ – Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden eine beklemmende Dokumentation vor, die das Netzwerk von Behörden, Waffenherstellern und Militärs aufzeigt. Es zeigt anhand von Dokumenten, wie Unterlagen gefälscht wurden und es nennt Verantwortliche in der Bundesrepublik. Das ist neben Heckler & Koch vor allem das Bundeswirtschaftsministerium, das ist auch der Wahlkreisabgeordnete Volker Kauder, der so der Heckler & Koch-Inhaber Andreas Heeschen „immer wieder die Hand über uns gehalten“ habe, das ist auch der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Ernst Burgbacher (FDP). Die Recherche zeigt, wie das Auswärtige Amt bei Waffenlieferungen wegsah und es erzählt eindrücklich von denen, die von den Folgen dieser Entscheidung direkt betroffen waren und sind. Protestierende Studierende in Mexiko, die auf Demonstrationen erschossen wurden, die verschleppt wurden und bis heute verschwunden sind, Kindersoldaten, deren Leben gezeichnet ist, Regionen in denen die einzige Antwort auf zu viele Waffen – noch mehr Waffen ist.
Ausführlich werden die Verbindungen aufgedeckt und Strafanzeigen gestellt. Offensichtliche Versäumnisse bis hoch zur Minister_innen-Ebene werden aufgezählt. Heckler & Koch verfügt über ein Netzwerk von Fürsprecher_innen, die dem Unternehmen und ihren Produkten ‚moralisch‘ verbunden sind. Auch wenn der Schwerpunkt des Buches die Oberndorfer Firma Heckler & Koch ist, so wird schnell klar, dass alle gemeint, sind, alle die am Verkauf von Waffen und Munition verdienen und dass Heckler & Koch nicht der Ausnahmefall, sondern die Regel ist. Neben der Beweisführung, die eine juristische Reaktion zu Folge haben muss, gelingt es den Autor_innen immer wieder die moralische Ebene der Waffenherstellung zu thematisieren und Empörung zu erzeugen. Gefälschte Endverbleibserklärungen, illegale Lizenzproduktion und Vertuschung bei festgestellten Qualitätsmängeln am Sturmgewehr G36 bieten dafür reichlich Stoff. Klar ist aber auch, das ist nur die Spitze des Eisberges. Das Heckler & Koch auf diese Weise vorgeführt werden kann, ist der direkten kriminellen Energie in den Waffen-Netzwerken zuzuschreiben. Dadurch ist Heckler & Koch angreifbar geworden, auch auf strafrechtlicher Ebene. Unabhängig davon muss aber vor allem die Arbeit gegen das (legale) Export- und Produktionsgeschäft weitergehen, in Bezug auf Kleinwaffen und große Militärtechnik. Die Autor_innen benennen hierfür Ansätze – die Kampagne Aktion Aufschrei und andere politische Akteur_innen wie die DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen) sollten sie zu nutzen wissen.
Waffen werden gebaut und geliefert, um benutzt zu werden. Die Herstellenden und die Genehmigenden sind mitschuldig an den Taten, die mit diesen Waffen begangen werden. Diese zentrale Aussage des Buches, verbunden mit dem dokumentarischen Nachweis krimineller Machenschaften macht das Buch so wertvoll und lesenswert. Zusammen mit dem ebenfalls sehr empfehlenswerten Spielfilm „Meister des Todes“ von Daniel Harrich (der Film ist auf DVD erhältlich) wird eine Debatte über Moral und Verantwortung in Bezug auf das oft verniedlichte Thema Waffenlieferungen möglich. Bedenken wir auch: Die eigentlichen ‚Massenvernichtungswaffen‘ in Krisenregionen / Kriegen sind die Kleinwaffen! Nach diesen aktuellen Aufdeckungen ist bei allen weiteren Toten in Krisenregionen / Kriegen weltweit klar: deutsche Waffen waren mit dabei. Mit ihnen wurden die Massaker verübt.
Jürgen Grässlin, Daniel Harrich, Danute Harrich-Zadberg: „Netzwerk des Todes“ – Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden, München 2015.