(erschienen in Rosige Zeiten 02/2011, Autor_in Heinz-Jürgen Voß)
Transsexuelle haben es in der Bundesrepublik Deutschland schwer. Für eine Angleichung des Vornamens und des Personenstandes an das empfundene Geschlecht sind hohe Hürden gesetzt. Bereits für die so genannte „kleine Lösung“ – die Änderung des Vornamens, sie ist u.a. für Ausweispapiere relevant – werden gesetzlich zwei medizinische Gutachter_innen verlangt und muss nachgewiesen werden, dass man dauerhaft und gefestigt in der Geschlechterrolle lebt für die man nun den Vornamen einfordert. Für die „große Lösung“ sind weitere Gutachten und Jahre erforderlich – sie betrifft die Änderung des Personenstandes, was u.a. für die Geburtsurkunde und die Möglichkeit zu heiraten oder eine Eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen zu dürfen bedeutsam ist. Über die Gutachten hinaus werden aber auch operative Eingriffe zur Angleichung an das empfundene Geschlecht und die Herstellung der Fortpflanzungsunfähigkeit gesetzlich verlangt. Sollte man eigentlich erwarten, dass solche Forderungen rechtlich überhaupt nicht zulässig sind, schon weil im Grundgesetz das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit geschrieben steht und weil das Strafgesetzbuch nach den Erfahrungen der Euthanasie und Sterilisierung im Nationalsozialismus besonders hohe Schranken für Eingriffe an Genitalien vorsieht, so spielte das für die bisherige Behandlungspraxis keine Rolle – genau wie auch heute noch intersexuelle Kinder medizinisch verstümmelt werden dürfen und diese werden nicht einmal gefragt.
Bisher – seit der Einführung des Transsexuellengesetzes (TSG) im Jahr 1980 – stieß sich auch das Bundesverfassungsgericht nicht an diesen gesetzlichen Vorschriften zur Körperverletzung. Nun hat es aber Änderungen festgeschrieben! Geklagt hatte eine (transsexuelle) Frau, mit ihrer Freundin eine Eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen zu können; sie lebt mit weiblichem Vornamen, in der Geschlechterrolle Frau, ohne sich genitalkorrigierenden und die Fortpflanzungsunfähigkeit verursachenden Operationen unterzogen zu haben. Sie lehnt solche Operationen ab und führte aus, dass sie mit ihrer Freundin auch keine Ehe eingehen wolle, weil diese ihrer Geschlechtsempfindung widerspricht. (Da sich die rechtliche Entscheidung mehrinstanzlich über Jahre hinzog, waren beide schließlich zwar genötigt, eine Ehe einzugehen, da sie es als wichtig erachteten, sich auf diese Weise rechtlich gegenseitig abzusichern. Auf die Rechtmäßigkeit der Klage hatte dies aber keinen Einfluss.)
Nachdem das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2005 Änderungen zum TSG eingefordert hatte, hat es mit dem Urteilsspruch in diesem Verfahren nun auch wesentliche Bestimmungen der geänderten TSG-Fassung kassiert. War in der Begründung des Jahres 2005 noch weitgehend offen geblieben, inwieweit sich das Bundesverfassungsgericht auch gegen die für die „große Lösung“ vom Gesetzgeber geforderte operative Korrektur der Genitalien und die Herstellung der Fortpflanzungsunfähigkeit wandte – und wurden vom Gesetzgeber in der Neufassung weiterhin für die „große Lösung“ diese Maßnahmen vorgeschrieben –, so ist dies nun klargestellt.
Zu den Operationen: Es ist nach dem neuen Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grundgesetz unvereinbar, dass das TSG für die personenstandsrechtliche Anerkennung „von einem Transsexuellen unbedingt und ausnahmslos verlangt, sich Operationen zu unterziehen, die seine Geschlechtsmerkmale verändern und zur Zeugungsunfähigkeit führen.“ (Abs. 63) Und weiter: „Eine Operation, mit der die Geschlechtsmerkmale eines Menschen großteils entfernt beziehungsweise so umgeformt werden, dass sie im Aussehen dem empfundenen Geschlecht möglichst weitgehend entsprechen, stellt eine massive Beeinträchtigung der von [Artikel 2, Absatz 2 des Grundgesetzes] geschützten körperlichen Unversehrtheit mit erheblichen gesundheitlichen Risiken und Nebenwirkungen für den Betroffenen dar. […] Es ist […] unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, [nur] um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen und die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten.“ (Abs. 65) Der Gesetzgeber könne zwar verlangen, dass eine Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der Geschlechtsangleichung nachgewiesen wird, solche operativen medizinischen Maßnahmen gehen aber nach der neuen Rechtsprechung zu weit; vielmehr bedürfe es „eines längeren diagnostisch-therapeutischen Prozesses“ (Abs. 64).
Zu der vom Gesetzgeber geforderten Fortpflanzungsunfähigkeit: Mit „der dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit hat der Gesetzgeber [im Transsexuellengesetz] eine unzumutbare Voraussetzung für die personenstandsrechtliche Anerkennung des empfundenen Geschlechts eines Transsexuellen gesetzt, soweit für die Dauerhaftigkeit der Fortpflanzungsunfähigkeit operative Eingriffe zur Voraussetzung gemacht werden. […] Die Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen steht unter dem Schutz des [Artikel 2, Absatz 2 des Grundgesetzes] und ist Bestandteil des Rechts auf körperliche Unversehrtheit.“ (Abs. 68/69)
Anerkennung freier, selbstbestimmter Identität: Ebenso bedeutsam wie die Anerkennung der grundgesetzlichen Regelungen auch für die aktuelle Rechtsprechung, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit unbedingt verfassungsrechtlich geschützt ist, ist die Betonung, die das Verfassungsgericht auf die geschlechtliche und sexuelle Identität legt: Es stellt fest, dass auch diese durch Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes geschützt sind. „Mit diesen Grundsätzen ist es nicht vereinbar, wenn Transsexuelle mit gleichgeschlechtlicher Orientierung, zur rechtlichen Absicherung ihrer Partnerschaft entweder die Ehe eingehen oder sich geschlechtsändernden und die Zeugungsunfähigkeit herbeiführenden operativen Eingriffen aussetzen müssen, um personenstandsrechtlich im empfundenen Geschlecht anerkannt zu werden und damit eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründen zu können, die seiner als gleichgeschlechtlich empfundenen Partnerbeziehung entspricht.“ (Abs. 52) Und weiter: „Mit dem Verweis auf den Eheschluss als Möglichkeit, seine Partnerschaft rechtlich abzusichern, wird ein Transsexueller mit sogenannter ‚kleiner Lösung‘ und gleichgeschlechtlicher Orientierung rechtlich und nach außen erkennbar in eine Geschlechterrolle verwiesen, die seiner selbstempfundenen widerspricht.“ (Abs. 56) Wenn ein transsexueller Mensch eine Eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen will, darf er also nicht auf eine Ehe verwiesen werden, da diese der eigenen Geschlechtsempfindung zu wider laufen kann.
Ausgehend von diesen drei Punkten sind bedeutende Änderungen des TSG notwendig, die eben keine solch hohen und menschenunwürdigen Hürden wie Operationen, die Herstellung von Fortpflanzungsunfähigkeit und die Zuwiderhandlung gegen das eigene Geschlechtsempfinden stellen. Für transsexuelle Menschen ist dies ein wichtiger und längst überfälliger Schritt.
Bedeutung für die Behandlung von Intersexuellen?: Es ist die Frage, ob die Unvereinbarkeit von genitalkorrigierenden Operationen und die Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit auch für die übrige Rechtsprechung Bedeutung erlangt: So werden Säuglinge und Kleinkinder, bei denen körperlich uneindeutiges Geschlecht diagnostiziert wird, noch immer oft im Säuglings- und Kleinkindalter geschlechtszuweisenden Operationen unterzogen. Von diesen Operationen betroffene intersexuelle Menschen weisen diese Behandlungspraxis als äußerst traumatisierend und gewaltvoll aus. Und so ist zu hoffen, dass die Zurückweisung „geschlechtsanpassender Operationen“ bei Transsexuellen, mit Kenntnis der einschlägigen Arbeiten auch zu Intersexualität (wie in der Urteilsbegründung verschiedentlich deutlich wird), auch dazu führt, dass auch bei uneindeutigem Geschlecht bei der Geburt nicht mehr dem Personenstand die wichtigste Bedeutung beigemessen wird, sondern der im Grundgesetz garantierten körperlichen Unversehrtheit. Hier hat das Bundesverfassungsgericht eine dringende Aufgabe, da sich auch hier abzeichnet, dass der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, die körperliche Unversehrtheit zu schützen und Operationen stets der Selbstbestimmung der Menschen selbst zu überlassen.
Das vollständige Urteil ist hier nachzulesen; auf diese Quelle beziehen sich auch die hinter den Zitaten stehenden Absatz-Angaben:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20110111_1bvr329507.html