Birgit Kelle spricht sich für Frauenförderung aus, statt für Gender-Mainstreaming (S. 169f). Sie beklagt sich über im Straßenpflaster abgebrochene Stöckelschuhe. Und sie spricht sich dafür aus, dass die biologische Unterscheidung von Geschlechtern danach getroffen werden sollte, wer eine Gebärmutter hat – und nicht entlang männlicher Zentrierung auf Hoden und Penis.
Dieser Position entgegen stünden aktuelle Programme, die unter der Überschrift Gender-Mainstreaming laufen. Ihr Hauptaugenmerk liegt dabei auf evangelischer und katholischer Kirche. Während erstere nach der Revision familienpolitischer Positionen aus Ihrer Sicht offenbar die Speerspitze der Gender-Bewegung bilde, hält sie auch für die katholische fest: „Doch auch in der katholischen Kirche ist man bemüht, den Anschluss an die gendersensible Welt nicht ganz zu verlieren.“ (S. 139) Hingegen scheint Kelle nur einen Biologen zu kennen, der sich zudem auch für „Geschlechtervielfalt“ ausspreche. Auch hier zeige sich Gender. Aber wie kann sie diese Aussage auf Basis eines Biologen und zudem nur auf einem Interview von ihm, dass er einer christlichen Zeitschrift gab, festmachen? Die aktuelle Ausgabe der biologischen Fachzeitschrift „Nature“ bietet Frau Kelle nun zumindest einen guten Überblick über aktuelle biologische Theorie (Nature, Nr. 518; Beitrag „Sex redefined“ von Claire Ainsworth). (Der Beitrag wurde von der Zeitschrift „Spektrum“ in deutsche Sprache übersetzt und ist online zugänglich.)
Es ist etwas ärgerlich, dass Frau Kelle ihre Argumentation entlang knapper Interviews und Blog-Beiträge aufbaut. Bücher tauchen als Quellen nur ganz vereinzelt auf, an wissenschaftlichen Fachartikeln mangelt es ebenso. Richtig problematisch sind hingegen die kurzen Positionierungen, in denen sie mutmaßt, was doch ‚die Griechen‘ denken würden und was ‚die Muslim_innen‘ aus Kelles Sicht denken müssten. Und hier vermisst man gleich jede Quellenangabe. Insofern als kleiner Tipp an Frau Kelle: „Muslim Girls: Wer wir sind, wie wir leben“, von Sineb El Masrar. Und auch als Hinweis: Der Migrationsrat Berlin-Brandenburg – die Dachorganisation von etwa 100 Organisationen – hat in einer Intensität queere und feministische Forderungen aufgenommen, dass Kelle hier einen noch größeren Vorreiter der Gender- und Queer-Theorien finden wird, als sie in der evangelischen Kirche sieht und als sie einigen lesbischen und schwulen Organisationen der Dominanzkultur zuschreibt.
Ansonsten: Wenn man Kelles Buch GenderGaga als kleinen populären Schmöker nimmt, das darin Geschriebene nicht allzu ernst und man annimmt, dass sie wahrscheinlich bisher wenig aus dem Haus gekommen ist, um mit Menschen zu sprechen, dann kann frau_man mit dem Büchlein eine unterhaltsame Stunde haben. (Ich hatte meine Brille vergessen, konnte das Buch aber erfreulicher Weise dennoch lesen, weil die Schrift schön groß ist!)