Mit großen Plakataktionen und individualisierter Werbung wirbt das Militär mit seiner Arbeit gegen das Coronavirus und nutzt die derzeit bei vielen Menschen vorhandene berufliche Verunsicherung zur Rekrutierung gerade auch Minderjähriger aus. Einsätze der Bundeswehr sind im Inneren verboten, allein im Rahmen der Amtshilfe im Katastrophenfall sind Ausnahmen erlaubt. Jetzt eine solche Ausnahmesituation zu konstatieren und für die Rekrutierung zu nutzen, erscheint obszön, ist aber traurige Realität. Das dafür erhebliche finanzielle Mittel eingesetzt werden, die an anderer Stelle viel besser helfen könnten, macht die aktuelle Kampagne der Bundeswehr doppelt ärgerlich.
Dabei offenbart ein Blick auf das Wirken der Bundeswehr insgesamt in der Coronakrise ein zweischneidiges Bild:
Amtshilfe und Werbetour
Gerade einmal 550 Soldat*innen außerhalb des Sanitätsdienstes sind auf Amtshilfe im Einsatz. 260 Amtshilfeverfahren (wovon 99 bereits abgeschlossen sind) wurden beschlossen (Stand: 12.5.2020 Quelle). Die Bundeswehr selber spricht von über 700 Soldat*innen insgesamt (Quelle: Bundeswehr). Wir reden hier also von einem durchaus überschaubaren Umfang, ganz anders als die Eigenwerbung vermuten lässt. Generalmajor Breuer umreißt auf bundeswehr.de die Aufgaben: „Angefangen von Lagerungsmöglichkeiten in freien Hallen, der Herstellung von Desinfektionsmitteln, der Unterstützung an den Abstrichstellen wie bald in Aichach (BY), die Unterstützung in den Pflegeeinrichtungen, bis hin zur Mitarbeit in den Gesundheitsämtern bei der Nachverfolgung der Infektionsketten […}“
Ich bin mir sicher, eine vernünftige Ausstattung von Altenpflegeheimen, Krankenhäusern und dem zivilen Katastrophenschutz würde die Arbeit nicht nur effizienter, sondern auch preiswerter machen. Bundeswehrsoldat*innen als helfende Hände in der Altenpflege (außerhalb des Sanitätsdienstes, wie bei augengeradeaus beschrieben)? Stattdessen wären Fachkräfte für die Qualität der Pflege und für die zu Pflegenden sinnvoller. Stattdessen läuft die Propagandamaschinerie. Auftritte des Musikcorps der Bundeswehr vor Altenheimen (Achtung: Quelle geht zur Bundeswehr) gehören sicher nicht zum Auftrag, schaffen aber Prestige und Akzeptanz. Lokalen Künstler*innen sind solche Werbeaktionen im Allgemeinen verboten.
Defender 2020 und Corona
Dabei hat die Bundeswehr selbst zur Coronaverbreitung beigetragen. Stand 12.5.2020 sind 359 Fälle in „der Truppe“ dokumentiert, dazu kommen über hundert begründete Verdachtsfälle. Dazu beigetragen hat sicher auch die erst zurückgefahrene und später ganz abgesagte Machtpräsentation Defender 2020, eine NATO-weite militärische Übungsaktion. Auch wurden die Kasernen nicht zwischenzeitlich geschlossen, wie etwa Kindertagesstätten, Schulen, Bildungseinrichtungen.
Leider ist Defender 2020 noch nicht vom Tisch. Ungeachtet einer zu erwartenden zweiten Corona-Welle, soll mit „Defender-Europe 20 Plus“ ein erneuter Anlauf gestartet werden, Teile des größten Manövers in Europa seit 25 Jahren durchzuführen. Das dieser Unsinn jetzt konsequent gestoppt werden sollte, sollte nicht nur Pazifist*innen ein Anliegen sein.
Verteidigungshaushalt endlich verkleinern!
Die Debatte um die Finanzierung der Corona-Krise spart auffällig einen Punkt aus: Wie soll die Bundeswehr dem 2%-Ziel der NATO näherkommen und dies plausibel begründen in Zeiten leerer Kassen? Und warum sollte sie dem Ziel näherkommen, angesichts fehlender Bedrohungen? Überhaupt wird es Zeit, dieses ominöse 2%-Ziel zu hinterfragen. Welchen Sinn macht es, eine fiktive Zahl als Ausgabenwert festzulegen, ohne überhaupt zu planen und zu wissen, wozu etwas benötigt wird? Das ist absurd!
Die zuständige Ministerin Kramp-Karrenbauer versucht inzwischen vollendete Tatsachen zu schaffen: Sie sagt Flugzeugkäufe zu, obwohl die dafür notwendigen Entscheidungen nicht getroffen sind… Immerhin führt dies dazu, dass erstmals seit Jahren wieder über nukleare Teilhabe gestritten wird, auch wenn das Ergebnis vorhersehbar ist.
Die Haushaltsdebatte kann eine Chance sein, hier eine Trendwende weg von zunehmenden Militärausgaben zu leisten. Aktuell werden schon knapp 45 Milliarden im Jahr 2020 für das Militär ausgegeben. Angesichts der Corona-Krise sollte der Betrag auf den Prüfstand. Reichen als Übergang und für die Aufgaben der Verteidigung nicht zunächst 20 Milliarden Euro aus, wenn man überporportionierte und zudem auf Angriffswaffen fokussierte Käufe unterlassen würde? Die freigestellten Milliarden könnten gut in die Abminderungen der Auswirkungen der Corona-Krise gehen. Perspektivisch wäre auch darüber nachzudenken, ob Deutschland nicht deutlicher auf eine neutrale Position gehen und das Militär ganz abschaffen könnte.
Zeit dafür wäre es.