Nach der Landtagswahl im Mai 2021 in Sachsen-Anhalt will sich eine Koalition aus CDU, SPD und FDP bilden, obwohl bereits die Stimmen von CDU und SPD zu einer knappen Mehrheit reichen würden. Für das Dreierbündnis wurde nun ein Entwurf für einen Koalitionsvertrag vorgestellt. Er muss von den einzelnen Parteien noch beschlossen werden, bevor Anfang September der Landtag den Ministerpräsidenten Reiner Haselhoff erneut ins Amt wählen kann.
Ich habe mir im Vorgriff der Wahlen die Wahlprogramme angesehen (siehe hier…). Interessant ist jetzt: Was findet sich von den Forderungen im Entwurf des Koalitionsvertrags? Ich beschränke mich hier bewusst auf das Thema LGBTIQ* und gehe nicht auf andere des Vertrages ein, an denen einige Kritik nötig wäre, so in Bezug auf die weitere Förderung des klimaschädlichen Individualverkehrs, die Absage an eine ökologische Erneuerung des Landes Sachsen-Anhalt sowie die aus Parteikalkül beliebige neue Zusammenstellung von Ministerien, die zu mindestens einem Jahr Zeitverlust führen wird, bevor überhaupt etwas passiert – die Beamt*innen und Angestellten müssen ja zunächst das Ministerium wechseln, bevor sie arbeiten dürfen.
Also zu LGBTIQ*:
Das Ergebnis überrascht auf den ersten Blick positiv. Scheinbar konnten sich die kleineren Koalitionspartner*innen SPD und FDP durchsetzen. Sie waren, im Gegensatz zur CDU mit konkreten Forderungen für LGBTIQ* in den Wahlkampf gezogen.
So wird im Koalitionsvertrag unter dem Punkt „Geschlechtergerechtigkeit vorantreiben“, in dem unter anderem explizit die Fortschreibung von Gender-Mainstreaming Konzepten vorgesehen ist, auch auf die Situation von LSBTIQ* eingegangen. Schwerpunkt soll die Fortschreibung des in der letzten Legislatur verabschiedeten Aktionsprogrammes sein. Nicht nur semantisch relevant ist dabei die Abkehr vom Kürzel LSBTTI hin zu LSBTIQ*. Die Offenheit soll noch deutlich werden. Konkret heißt es:
„Das Aktionsprogramm für die Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern, Transsexuellen und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTTI) entwickeln wir unter Beteiligung von LSBTIQ*-Organisationen als Aktionsprogramm LSBTIQ* weiter und führen es als eigenständiges Landesprogramm fort. Wir sehen das Aktionsprogramm der Landesregierung als zentrale, ressortübergreifende Aufgabe im Land Sachsen-Anhalt für die nachhaltige Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*-, intergeschlechtlichen, nonbinären sowie queeren Menschen (LSBTIQ*) dessen Maßnahmen konsequent umzusetzen sind. Wir werden den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes die spezifischen Anliegen von LSBTIQ* in Aus- und Fortbildungen vermitteln. Dabei werden Interessen- und Fachorganisationen hinzugezogen.“
Im Rahmen des Kapitels „Gleichstellung und des Gleichstellungsgesetz“ wird zudem festgelegt, dass das Amt der Landesbeauftragten für Frauen und Gleichstellung erweitert werden soll. Sie soll nun auch Landesantidiskriminierungsbeauftragte sein. Außerdem sollen die beiden Fachstellen für Fragen zur geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt Nord und Süd (Landeskoordinierungsstellen), auf Basis einer Evaluation, bedarfsgerecht ausgestattet werden. Über vereinfachte Fördermöglichkeiten für Kleinprojekte im ländlichen Raum sollen weitere Verbesserungen für LSBTIQ* auch abseits der größeren Städte erzielt werden.
Die Migrationsberatungsstellen sollen erhalten bleiben und um ein Beratungsangebot für queere Migrantinnen und Migranten ergänzt werden. Dabei soll die vorhandene Struktur der Hilfe für LSBTIQ*-Geflüchtete zudem aufgewertet werden.
Beachtlich ist, dass sich die CDU auf eine Initiative zur Änderung des Grundgesetzes einlässt. Konkret ist im Vertrag festgelegt:
„Weiterhin initiieren wir eine Bundesratsinitiative, um den Schutz der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität auch im Gleichbehandlungsartikel 3 des Grundgesetzes zu verankern.“
Beim Thema Gesundheit wird abschließend explizit auf transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Personen Bezug genommen. Hier werden eine Verbesserung der Information, Beratung und der medizinischen Versorgungslage im Koalitionsvertrag festgehalten. Dazu soll auch die psychologische und psychotherapeutische Begleitung dieser Personengruppe verbessert werden und sollen Studierende der Medizin und der Psychotherapie für die Belange von trans*, intergeschlechtlichen und nichtbinären Menschen sensibilisiert werden.
Soweit zu den Dingen, die in den Koalitionsvertrag eingegangen sind. Die Akteur*innen vor Ort und ich werden aufmerksam hinsehen, was davon praktisch umgesetzt werden wird.
Bemerkenswert sind aber auch die Lücken – insbesondere im Vergleich des Koalitionsvertrags mit den Wahlprogramm von SPD und FDP. Wie gesagt: Die CDU scheute das Thema, obwohl das Themenfeld LSBTIQ* bisher von der Ministerin Anne-Marie Keding (CDU) verantwortet wurde, die nun für kein neues Minister*innenamt vorgesehen ist. Gravierendster Unterschied des Koalitionsvertrags zu den Wahlprogrammen ist, dass sexuelle Bildung in Kitas und Schulen nicht vorkommen. Zwar sind Schutzkonzepte vor sexueller Gewalt geplant – konkrete Bildungsabsichten in Bezug auf Aus- und Fortbildung fehlen jedoch komplett, obwohl SPD und FDP diese Forderung in ihren Wahlprogrammen stark machten. Die FDP forderte im Wahlprogramm ein ganzheitliches Diversity Management für die Arbeitswelt. Diese Forderung hat leider auch nicht den Weg in den Koalitionsvertrag gefunden – letztlich sind wir diese Inkonsequenz in Bezug auf queere Themen von der FDP ja gewöhnt. Keiner besonderen Erwähnung bedarf es, dass die Koalitionär*innen sich mit den Themen der Konkurrenz – der sich abzeichnenden Oppositionsparteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen – nicht befasst haben. Ein schlechter, aber durchaus politisch üblicher Stil, der positive Entwicklungen für LSBTIQ* aufhält.
Es ist zu befürchten, dass die vollmundigen Formulierungen im Koalitionsvertrag nicht viel mehr als Prosa sein werden. So zeigte es sich auch zuletzt: Das letzte Aktionsprogramm hat kaum messbare Fortschritte für LSBTIQ* erreicht. So müssen die zwei zentralen Fachstellen weiterhin bürokratisch um jeden Euro feilschen, anstatt sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren: Aufklärungsarbeit zu leisten, LSBTIQ* Unterstützung zu leisten, sodass die hohen Zahlen von Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen zurückgehen und junge (und ältere) LSBTIQ* Hilfe und Unterstützung finden. Die Verbesserung der Situation von LSBTIQ* im ländlichen Raum „auf Basis einer Evaluation“ erscheint mehr als Drohung: Schon in der letzten Legislatur wollten die sachsen-anhaltinischen Ministerien stetig neue Evaluationen und Studien. Immer soll bewiesen werden, was bewiesen ist – nämlich, dass der Bedarf für Unterstützung hoch ist. Die Ankündigung oder „Androhung“ einer Studie sagt so erfahrungsgemäß nur aus, dass auch in dieser Legislatur nichts passieren wird, sondern konkrete Verbesserungen erst in der darauffolgenden Legislatur kommen sollen. Noch besteht die Möglichkeit, dass doch etwas passiert. Nötig wäre es, um die teils lebensbedrohlichen Zustände etwa für Trans*-Personen im ländlichen Raum Sachsen-Anhalts endlich grundlegend anzugehen – und die Versorgungssituation für LSBTIQ*-Personen grundlegend zu verbessern, anstatt nur auf „Schaufenster-Politik“ zu bauen.