(erscheint in Rosige Zeiten Jan/Feb.2013)
Was bisher geschah:
Am 20. Januar 2013 wird der niedersächsische Landtag gewählt. Nachdem bei der letzten Wahl der Spitzenkandidat der CDU, Cristian Wulff, der später durch David McAllister abgelöst wurde eine schwarz/gelbe Mehrheit erlangen konnte, scheint der Wahlverlauf diesmal offen. Unklar ist es, ob die FDP den Sprung in den Landtag schaffen wird, gleiches gilt auch für die Linke. Jede Stimme könnte entscheidend sein und wird auch weitreichende Folgen für die Community haben.
Bevor wir uns damit beschäftigen, welche Angebote die Parteien den Wähler_innen für die nächste Legislatur machen, lohnt ein Rückblick auf die letzten fünf Jahre.
Da gibt es von Seiten der Regierungsparteien nicht viel zu berichten. Hatte die CDU in ihrem Wahlprogramm von vorneherein keine Verbesserungen geplant und fiel sie sogar hinter alte Familienverständnisse zurück (vgl. dazu RoZ 113), so forderte die FDP eine Verbesserung der Bildungsarbeit und eine Diversity-Strategie. Außerdem war dem FDP-Landesverband wichtig, das damals in der Diskussion befindliche Antidiskriminierungsgesetz abzulehnen – die Regierung Merkel führte es kurze Zeit später ein. Im niedersächsischen Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP findet sich demzufolge nur die Ankündigung, das Lebenspartnerschaftsrecht an die Erfordernisse des Bundesrechts anzupassen. Aus diesem im Wahlkampf versprochenen „Fast-nichts“ hat die Regierung noch weniger gemacht. Einzig zu der vom europäischen Gerichtshof verpflichteten Anpassung im Beamtenrecht – hier ging es um die Gleichstellung verlebenspartnerter Beamter mit ihren verheirateten Kolleg_innen – konnte sie sich mit langer Verzögerung hinreißen. Aber auch hier hat sie sich noch drei Jahre Zeit gelassen und als eines der letzten Bundesländer zum 01.11.2012 ein entsprechendes Gesetz erlassen. Zugleich gelten die Regelungen in der niedersächsischen Variante nicht rückwirkend, womit das gesetz eigentlich verfassungswidrig ist (wie vergleichbar zu Niedersachsen das Verfassungsgericht Hessen festgestellt hat). Die Regierung empfiehlt den Betroffenen bei Bedarf zu klagen. Weitere Initiativen, insbesondere zur von der FDP hervorgehobenen Diversity-Strategie, ließen sich nicht ausfindig machen.
Die Oppositionsparteien, die sich mit weitreichenderen Forderungen in der Antidiskriminierungs- und Bildungsarbeit sowie bei der Stärkung vorhandener Selbsthilfestrukturen hervorgetan hatten, scheiterten im Landtag mit ihren schließlich nur wenigen angestoßenen Initiativen. So hat Die Linke im Mai 2012 beantragt, das Merkmal der sexuellen Identität in das Benachteiligungsverbot der niedersächsischen Verfassung aufzunehmen. Bündnis 90/Die Grünen forderten im Oktober 2011 ein Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte, in dem auch eine Antidiskriminierungsstelle gefordert wurde. Reichlich spät haben Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen im September 2012 getrennte Anträge eingereicht, die umfangreiche bundespolitische Forderungen erheben, insbesondere das Recht auf Volladoption für homosexuelle Paare. Auslöser war ein Interview, indem sich der niedersächsische Justizminister Busemann gegen ein solches Adoptionsrecht ausgesprochen hatte. Einzig die SPD war mit einem butterweichen Antrag zur rechtlichen Besserstellung Intersexueller erfolgreich – er trägt allerdings ausschließlich appellativen Charakter, ist als ohne Konsequenz.
Die aktuelle Wahlprogramme:
Soweit zum Gewesenen. Um die möglichen Auswirkungen der Wahl der verschiedenen Parteien für die kommende Wahl einzuschätzen, wurden – wie schon vor fünf Jahren die Wahl- und Regierungsprogramme der im Landtag vertretenen Parteien untersucht:
Die Christlich-Demokratische Union (CDU) beharrt im Wesentlichen auf ihrem Familienbild, auch wenn sie es nicht mehr so klar ausdrückt, wie noch 2008. Es heißt nun: „Die Familie ist für uns die wichtigste gesellschaftliche Einheit zur gegenseitigen Motivation und Unterstützung. […]Mütter und Väter benötigen verlässliche Rahmenbedingungen, um Erwerbstätigkeit und Familie miteinander in Einklang zu bringen.“ Immerhin erkennen sie an: „Die Würde des Menschen – auch des ungeborenen und des sterbenden – ist unantastbar. Dies gilt für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Nationalität, Alter, von religiöser und politischer Überzeugung, von sexueller Identität, von Behinderung, Gesundheit und Leistungskraft, von Erfolg oder Misserfolg und vom Urteil anderer.“ Auffällig im Wahlprogramm ist der häufige Bezug auf „christliche Werte und Prinzipien“.
Die Freiheitlich Demokratische Partei (FDP) möchte die Öffnung der Ehe, Programme zur Akzeptanzförderung und Antidiskriminierungsarbeit, also all das, wozu sie in den letzten 5 Jahren keinen Grund sah. Auch ihr Lieblingsthema Diversity frischen die Liberalen wieder auf: „Angesichts des demografischen Wandels und einem bestehenden Fachkräftemangel, der sich in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen wird, ist es für die FDP Niedersachsen zudem unverzichtbar, Diversity als nachhaltige Strategie in Unternehmen zu fördern.“ Anders ausgedrückt, da Diskriminierung die Effektivität der Arbeitskraft verschlechtert, muss sie abgebaut werden. Abgesehen von der Herabstufung von Menschen zu „Humankapital“ könnte sich hieraus immerhin ein konkreter Nutzen ableiten, wenn solche Regelungen tatsächlich umgesetzt werden würden – aber im letzten Wahlprogramm der FDP stand bzgl. Diversity schon ähnliches, letztlich ohne Konsequenz.
Die Sozialdemokratische Partei (SPD) legt einen Schwerpunkt auf Bildung und Antidiskriminierungsarbeit: „Vor allem die Schule ist auch in Fragen der individuellen sexuellen Emanzipation Bildungs- und Erziehungsraum. Nicht nur die sexuelle Aufklärung gehört zu ihrem Auftrag, sondern auch die gesellschaftliche Erziehung zu Respekt und Toleranz gegenüber unterschiedlichen sexuellen Identitäten. Die Bekämpfung von Homophobie ist ebenso eine gesellschaftliche Aufgabe wie die Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Orientierungen insgesamt.“ Des Weiteren will die SPD die Stellung des_der Beauftragten für Antidiskriminierung bezüglich Homo- und Transsexualität (und Transidentität) stärken. Und sie will auf Bundesebene, im Rahmen einer Bundesratsinitiative, „dafür eintreten, dass eingetragene Lebenspartnerschaften mit der Ehe gleichgestellt und bestehende Benachteiligungen abgeschafft werden. So soll die gesetzliche Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften einschließlich der ‚Regenbogenfamilien‘ verwirklicht und die Akzeptanz von Kindern aus diesen Familien in Kindertagesstätten und Schulen zur Normalität werden“.
Bündnis 90/ Die Grünen fordern in einem Kapitel „queere Gesellschaft“ umfangreiche Verbesserungen im Bildungs- und Antidiskriminierungsbereich: „Unseren Bildungseinrichtungen kommt eine zentrale Bedeutung zu, dieser Diskriminierung durch entsprechende Unterrichtsinhalte entgegenzuwirken. Bei der Aus- und Fortbildung von ErzieherInnen und LehrerInnen müssen entsprechende Bezüge thematisiert werden. Alle Schulen sollen AnsprechpartnerInnen für das Thema Homosexualität benennen […]. Die Situation der Schwulen und Lesben, die gerade im ländlichen Raum kaum Orte für eine Beratung oder den sozialen Austausch haben, wollen wir verbessern. [… Wir werden] die Kommunen dabei unterstützen, eigenverantwortlich auf ihre schwulen und lesbischen BürgerInnen zuzugehen. Dabei wollen wir kultursensibel vorgehen und auch Anknüpfungspunkte für Personen mit Migrationshintergrund schaffen. Für uns ist die Aufnahme der ‚sexuellen Identität‘ in den Artikel 3 der Landesverfassung nicht nur Symbolpolitik, sondern ein wichtiges Bekenntnis der Politik, der sexuellen Diskriminierung aktiv entgegenzutreten.“ Folgerichtig werden im Folgenden auch Bundesratsinitiativen zur Gleichstellung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft gefordert. Zudem wird eine Verbesserung der Aids-Prävention angemahnt.
Auch die Partei Die Linke widmet nun, im Gegensatz zu ihrem Programm vor fünf Jahren, ein eigenes Kapitel der Förderung der Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Gefordert wird die Aufnahme des Verbotes der Diskriminierung aufgrund sexueller Identität in die Landesverfassung, eine aktive Antidiskriminierungsarbeit nach Berliner Vorbild, die bundespolitisch Umsetzung der Gleichstellung von Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft und die Stärkung der zivilgesellschaftlichen Akteure – also der Lesben, Schwulen, Trans*-Personen – im ländlichen Raum. Von den anderen Parteien kaum beachtet, bringt die Linke das Thema Alter und sexuelle Identität zur Sprache: „Nach Jahrzehnten des Kampfes für Emanzipation gehen die ersten Generationen offen lebender Lesben und Schwuler in Rente und haben einen Anspruch auf Achtung und Respekt auch in Betreuung und Pflege. Die vielfältigen Initiativen freier Träger in diesem Bereich wollen wir unterstützen und weitere ermöglichen. Auch die Aids-Prävention und Integration von HIV-positiven Menschen wollen wir weiter stärken und MigrantInnencommunitys und Homosexualität im Sport besser in die Akzeptanzarbeit einbeziehen. Trans*Menschen müssen teilweise hohe soziale und finanzielle Belastungen auf sich nehmen, um ihr Geschlecht an ihre Identität angleichen zu können. Hierfür verdienen sie soziale Unterstützung, soweit sie nötig ist. Darüber hinaus werden in Niedersachsen jährlich viele Kinder geboren, bei denen ein chirurgischer Eingriff kurz nach der Geburt über das Geschlecht bestimmt, was bei vielen Kindern ab der Pubertät zu schweren Problem führt.“ Entsprechend werden bundesweite Regelungen zum Personenstandsrechts und der Aufbau von Beratungsstellen für Trans*-Personen gefordert. Und Die Linke stellt Forderungen auch explizit für intergeschlechtliche (bzw. intersexuelle) Menschen auf.
Auch wenn die Piratenpartei bisher nicht im Landtag vertreten ist, sollen ihre Forderungen hier noch kurz angeführt werden, weil sie aktuell viel in der Diskussion ist und sich in der Vergangenheit auch die RoZ mit ihr beschäftigte. Die Forderungen der Piratenpartei beschränken sich im Wesentlichen auf bundespolitische Ideen, wie die Gleichstellung von Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft, die Einführung eines Adoptionsrechts und die Förderung von Kindern statt Ehen. Positiv und weitergehender als die anderen Parteien lehnen sie geschlechtsangleichende Operationen zur Vereindeutigung des Geschlechts bei intergeschlechtlichen (intersexuellen) Kindern prinzipiell ab und fordern die Streichung des Geschlechts im Geburtenregister. Landespolitisch schlagen sie wie die Linkspartei ein Programm gegen Homophobie analog des Berliner Aktionsplanes „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ vor.
Folgerungen:
Im Vergleich zu den Forderungen vor fünf Jahren fallen einige Besonderheiten auf: Die Linke hat sich nun auch auf Landesebene programmatisch klar zu diesem Thema aufgestellt, was im Bund schon lange so ist und was sich auch im Land bereits mit Initiativen der letzten Legislatur andeutete. Sie kann nun programmatisch durchaus mit den traditionell sehr gut aufgestellten Bündnis 90/ Die Grünen mithalten und stellt darüber hinaus auch ansatzweise Forderungen zu Intergeschlechtlichkeit auf. Auch die Piratenpartei zeigt sich gut aufgestellt, wobei fraglich bleibt, was sie letztlich umsetzt – in Berlin, wo sie im Landtag bereits vertreten ist, wirkt sie weitgehend orientierungslos. Die FDP erweitert ihr Portfolio etwas, aber ohne zu erklären, wie sie das in einer neuerlichen Regierung mit der CDU umsetzen möchte. Nach der Tatenlosigkeit der FDP bzgl. Lesben und Schwulen – von Rechten für Trans*-Personen und Intergeschlechtliche ganz zu schweigen – in der letzte Legislatur ist zu erwarten, dass sich mit ihr nichts verändern wird, sollte sie wieder mitregieren. Die SPD sieht umfassenden Handlungsbedarf und scheint auf Basis der Ausführungen im Wahlprogramm durchaus gewillt, Verbesserungen für Lesben, Schwule, Trans*-Personen und intergeschlechtliche Menschen umzusetzen. Offen bleibt, ob ihr dieses Politikfeld in einer möglichen Koalition aus SPD und CDU wichtig genug wäre, um Streit mit der CDU zu suchen.
Neu ist, dass alle Parteien, mit Ausnahme der CDU, die Gleichstellung von Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft fordern und umfangreiche Projekte gegen Homophobie planen. Das sind Punkte, an denen die Parteien, egal wer an der Regierung ist, gemessen werden können und müssen.
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