Fast genau 10 Jahre ist es her, dass die große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) einführte. Hintergrund ist die am 2. Dezember 2000 in Brüssel beschlossene EU-Richtlinie 2000/78/EG. Sie forderte ein Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf u.a. aufgrund der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität; auch rassistische Diskriminierung sollte mit der Richtlinie bekämpft werden.
Schon damals gab es Kritik. Wirtschaftsverbände und CDU-Hardliner prophezeiten den Untergang des Abendlandes und warnten vor einer „unnötigen“ Bürokratisierung von Personalentscheidungen und -einstellungen. Von emanzipatorischer Seite wurden vor allem fehlende Verbandsklagerechte, mangelnde Schadenersatzregelungen und die Herausnahme von Kirchen und anderen Tendenzbetrieben aus den Antidiskriminierungsregeln bemängelt. 10 Jahre nach dem Inkrafttreten des AGG hat nun die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Christine Lüders, das Gesetz durch unabhängige Wissenschaftler_innen evaluieren lassen und ein Fazit gezogen.
Das Gesetz habe, so die Beauftragte der Bundesregierung zum Ziel, Benachteiligungen aus Gründen der „Rasse“ oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Schwerpunkt sei der Schutz vor Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, daneben sind im AGG aber auch Vorschriften zum Schutz vor Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr verankert. Die Evaluation kommt zu den – aus emanzipatorischer Sicht wenig überraschenden – Ergebnissen:
Nur etwa 15.000 Betroffene hätten sich in den 10 Jahren an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewandt, ca. 1400 Gerichtsverfahren haben stattgefunden. Dabei hat eine Studie der Antidiskriminierungsstelle vom April ergeben (www-antidiskriminierungsstelle.de), dass allein in den letzten zwei Jahren jede_r Dritte (!) Diskriminierungen aufgrund von Alter, Religion, ethnischer Herkunft, Behinderung, Geschlecht oder sexueller Orientierung erlebt habe. Obwohl so viele Diskriminierunge erlebt haben, kam es nur zu so wenigen Anzeigen.
Dieser Widerspruch lässt die Zahnlosigkeit des Gesetzes erahnen. Ohne wirksames Verbandsklagerecht bleibt Betroffenen nur der individuelle Weg einer Klage, die mit Kosten und Risiken behaftet ist. Durch die Herausnahme der Kirchen aus dem Gesetz haben allein 1,3 Millionen Beschäftige kirchlicher Betriebe kein wirksames Klagerecht, auch wenn sie nicht im Verkündungsdienst arbeiten, sondern Krankenpfleger_in, Aufbauhelfer_in sind oder im Kindergarten arbeiten. Noch immer kann etwa ein_e Mitarbeiter_in in einem Krankenhaus eines kirchlichen Trägers entlassen werden, nur weil ihre_seine Homosexualität bekannt wird oder die Ehe der Person geschieden wird. Auch im Zivilrecht sind die Grenzen viel zu locker gesteckt: So darf der_die private Vermieter_in auch heute noch das lesbische Pärchen ablehnen.
Unabhängig von der konkreten praktischen Umsetzbarkeit des AGG ist der Grundansatz des Gesetzes problematisch, nur die individuelle Klage zu ermöglichen. Diskriminierung ist nicht strafrechtlich verboten, wie in Frankreich oder der Schweiz; selbst die Antidiskriminierungsstelle darf nur beraten, nicht helfen oder gar Bußgelder verteilen, wie in Schweden. Von Diskriminierung Betroffene sind allein auf sich gestellt.
Der Evaluationsbericht ist mit seinen Ergebnissen sehr deutlich und fordert unter anderem:
- Eine Klarstellung von Begriffen, insbesondere von „Rasse“, und die Benennung von Diskriminierung als solcher (statt wie bisher von Benachteiligung zu sprechen).
- Die Verbesserung des arbeitsrechtlichen Diskriminierungsschutzes, insbesondere in der Leiharbeit und im Verhältnis Arbeitgeber_in, Arbeitnehmer_in, Kund_in/Kolleg_in.
- Die Erweiterung des Schutzes vor sexualisierter Belästigung vom Arbeitsleben auf alle Lebensbereiche.
- Die Begrenzung der Kirchenklausel (Klausel für Tendenzbetriebe) auf den verkündungsnahen Bereich.
- Die Erweiterung des Schutzes vor Diskriminierungen wegen der Weltanschauung auf das Zivilrecht. Das solle insbesondere für den Wohnungsmarkt gelten – hier wird vor allem ein Schutz vor rassistischer Diskriminierung gefordert.
- Die Stärkung von Beschwerderechten durch Fristverlängerung und die Aufhebung der Beschränkung auf Schadensersatz. (So könnte nicht nur Schadenersatz, sondern eine direkte Entschädigung möglich werden oder etwa ein Arbeitsvertrag, sofern Diskriminierung nach AGG vorlag, dennoch zustande kommen.
- Die Beweislasterleichterung (von emanzipatorischer Seite wurde vor 10 Jahren eine Beweislastumkehr gefordert, umgesetzt wurde nur die magere grüne Variante der „Beweislastverschiebung“) und ein Verbandsklagerecht.
- Die Stärkung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bis hin zu eigenem Klagerecht.
Die Antidiskriminierungbeauftragte des Bundes, Christine Lüders, übernimmt leider nur einen Teil der Forderungen der Wissenschaftler_innen und fordert als Ergebnis der Evaluation insbesondere eine Verlängerung der Fristen für die Klagemöglichkeit auf mindestens sechs Monate, ein Verbandsklagerecht, besseren arbeitsrechtlichen Schutz und einen besseren Schutz vor sexueller Belästigung. Es solle aus ihrer Sicht einfacher werden, gegen Diskriminierungen vorzugehen. Die grundsätzlichen Konstruktionsfehler des Gesetzes will sie jedoch nicht angehen. Jedoch reichen schon diese recht sparsamen Vorschläge aus, das Arbeitgeberlager auf die Palme zu bringen. Auch in der CDU werden sich wohl kaum Mehrheiten finden, wenigstens die dringendsten notwendigen Anpassungen vorzunehmen. In dieses Bild passt es dann auch, dass die Regierung Merkel seit Jahren weitergehende Antidiskriminierungsregeln auf europäischer Ebene verhindert.